Teures Ausmisten im Augiasstall

Strukturwandel in der Landwirtschaft kostet Geld. Doch Ministerin Künast blickt in leere Kassen. Und nur wer investiert, bekommt Geld von der EU

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Seit knapp zwei Wochen fährt Renate Künast Achterbahn. Ihren ersten Arbeitstag als Bundeslandwirtschaftsministerin musste sie mit deutschen Bauern und EU-Agrarkommissar Fischler auf der Grünen Woche über die Bühne bringen. Für die Verbraucher wolle sie da sein, versprach die neue Ministerin. Aber die Bauern dürften mit ihren Problemen auch nicht allein gelassen werden.

Schon an diesem ersten Tag wird Künast geahnt haben, dass der Augiasstall voller BSE-Rinder nicht leicht auszumisten sein würde. Überblick über die Spielräume im eigenen Agrarhaushalt hatte sie zu dem Zeitpunkt noch nicht. Die zuständigen Fachleute fingen gerade an zu rechnen. Wer Politik machen will, braucht schließlich Geld. Deshalb sind die für Budgetfragen zuständigen Mitarbeiter im Ministerium seit zwei Wochen damit beschäftigt, den Agrarhaushalt zu durchforsten. Sie sollen herausfinden, welche Mittel für das laufende Haushaltsjahr schon festgelegt sind und welche Spielräume sich auftun, um naturnahe Landwirtschaft zu fördern.

Auf der Grünen Woche hatte EU-Agrarkommissar Fischler Klartext gesprochen: „Wenn es um die verbesserte Berücksichtigung der Verbraucherinteressen geht, wird Frau Ministerin Künast nicht viel Anlauf brauchen, um in Brüssel Türen einzurennen. Die Mitgliedsstaaten müssen vor allem bereits vorhandene Spielräume nutzen.“ Die Agenda 2000, so führte der Brüsseler Kommissar weiter aus, biete genug Spielraum, um Ökolandbau und andere Umweltprojekte kofinanziert von der EU zu fördern. 1999 seien in Deutschland aber nur 60 Millionen Euro für den ökologischen Landbau ausgegeben worden. Andere Länder täten da viel mehr.

Andere Länder stellen eben im Agrarhaushalt mehr Geld für den Strukturwandel bereit. Von den 10,9 Milliarden Mark, die Renate Künast fürs laufende Jahr in der Kasse hat, sind 7,6 Milliarden fest für Sozialausgaben verplant: Altersversorgung, Krankenversicherung und Unfallschutz für Landwirte werden damit finanziert. Verhandlungsmasse steckt nur in den 1,7 Milliarden Mark für die „Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und Küstenschutz“. Ein Teil davon ließe sich einsetzen, um eine Wende in der Landwirtschaftspolitik zu fördern. EU-Mittel aus der Kofinanzierung kämen hinzu.

Vielleicht wird dieses Geld aber auch gebraucht, um das BSE-Krisenmanagement der Europäischen Union mitzufinanzieren. Die Stützkäufe, mit denen Brüssel Rindfleisch aus dem Verkehr zieht, um den Preis zu stabilisieren, werden ausschließlich aus EU-Mitteln finanziert. Hier wird Deutschland nur indirekt, als größter Nettozahler in den Unionstopf, zur Kasse gebeten. Und die Tötung von Herden, in denen ein krankes Tier entdeckt wurde, bezahlt die nationale Tierseuchenkasse – Bund, Länder und Bauern zahlen hier regelmäßig ein, um für Schweinepestepidemien oder Maul- und Klauenseuche ein Krisenpolster zu schaffen.

Die Aufkaufaktion allerdings, mit der Brüssel EU-weit bis zu 2 Millionen Rinder vom Markt nehmen und vernichten will, belastet die nationalen Agrarbudgets. 70 Prozent der Entschädigung, die der Rinderzüchter erhält, trägt die EU. Die restlichen 30 Prozent muss das jeweilige Mitgliedsland bezahlen.

Das Bundeskabinett berät heute über die Frage, ob Deutschland sich am Aufkaufprogramm beteiligt und wer die Kosten übernehmen soll. Finanzminister Hans Eichel (SPD) hat aber schon im Vorfeld deutlich gemacht, dass er zusätzliche Mittel nicht bereitstellen wird. Dann bliebe nur die eiserne Reserve aus dem Agrarhaushalt. Ein Mitarbeiter aus Künasts Ministerium, der mögliche Szenarien durchrechnet, kommentiert: „Wenn man da tief reinschneidet, bleibt nichts für die Förderung im ländlichen Raum. Und die EU-Mittel aus der Kofinanzierung gehen dann auch verloren.“

Beim Treffen mit den europäischen Kollegen am Montag trat Künast unverändert tapfer auf.

Der Optimismus der ersten Tage, finanzielle Spielräume für eine rasche Wende in der Landwirtschafspolitik auftun zu können, scheint aber gedämpft. Inzwischen ahnt die Ministerin, dass ihre Pläne im Rindermist versinken könnten. In Brüssel sprach sie nicht mehr von dem Irrsinn, der darin bestehe, dass eine grüne Ministerin die Schäden der von ihr abgelehnten Politik bezahlen soll. Sie erklärte vielmehr, warum sie sich den Gesetzen der EU-Subventionspolitik unterwerfen müsse: Wenn niemand mehr Rindfleisch essen wolle, könne den Bauern nicht zugemutet werden, die Tiere weiter durchzufüttern.

Auch Agrarkommissar Fischler sitzt heute mit seinen Kabinettskollegen zusammen, um das nächste BSE-Maßnahmenpaket zu beraten. Haushaltspolitisch ist er aber besser dran als die deutsche Agrarministerin. Der EU-Haushalt ist zwar auf dem Gipfel von Berlin gedeckelt worden, für die BSE-Krise gibt es kein zusätzliches Geld. Die Mittel für landwirtschaftliche Strukturförderung aber sind von den Ausgaben für die gemeinsame Agrarpolitik klar getrennt. Ein Verschiebebahnhof zugunsten von Rindfleisch kann dadurch finanziert werden. Die 4,3 Milliarden Euro, die jährlich für ländliche Entwicklung eingeplant sind, dürfen jedoch nicht angetastet werden.