: US-Studie: Durchschnittlichkeit tötet
Serienkiller: „The Minus Man“ von Hampton Francher stellt das Genre auf den Kopf ■ Von Christiane Müller-Lobeck
Als Joyce Carol Oates angesichts einer ansehnlichen Zahl von Serienkillerfilmen zu Beginn der 90er Jahre zu bedenken gab, der Serienmörder sei für uns in gewisser Weise zum „unheimlich verehrten Edlen Wilden“ geworden, boykottierten bereits einige der fraglichen Thriller das Angebot einer entsprechenden Projektionsfläche.
Sicher, Dominic Senas Kalifornia (1993) oder Oliver Stones und Quentin Tarantinos Gemein-schaftswerk Natural Born Killers (1994) zeigten jeweils in der Figur des mordenden Pärchens soetwas wie die letzten Individualisten: als böte der serielle Mord einer rebellierenden Jugend die letzte noch nicht vom Mainstream vereinnahmte Bastion. Und Natural Born Killers zeigte zugleich, wie unentschieden der Kampf zwischen der Vereinnahmung der Killer durch das Fernsehen und der Vereinnahmung des Fernsehens durch das mordende Paar im Fall des Falles ist.
Sicher ist auch, dass beide Filme mit der Ambivalenz spielten, die sowohl der Figur des Edlen Wilden als auch dem Genre der Serienkillerfilme anhaftet: Zerrbild sowohl von zurückgehaltenen Wünschen und Trieben als auch von Ängsten zu sein. Am überzeugendsten spielte Das Schweigen der Lämmer (1991) auf der Klaviatur der ambivalenten Gefühle, die dem Killer entgegengebracht werden. Hannibal Lecter trieb nicht nur den Horror, sondern auch das Geniehafte des Serienmörders auf die Spitze, und man darf gespannt sein, was die Fortsetzung Hannibal, die demnächst in die deutschen Kinos kommt, diesem Vexierbild und damit dem Genre noch abgewinnen wird.
Henry: Portrait of a Serial Killer (1990; erste Aufführung 1993) oder der belgische Streifen Mann beißt Hund (1991) hatten aber bis zu diesem Zeitpunkt längst die Komplizenschaft des Publikums, die durch ein gewisses Verständnis für die Motive des Täters hervorgerufen wird, unmöglich gemacht. Henry war daher – und das Feuilleton reagierte entsprechend – nur noch das absolut Böse, während der offenbar motivationslos tötende Sympath in Mann beißt Hund zunehmend nur deshalb zu morden scheint, weil ein freundliches Fernsehteam ihn begleitet, scharf auf die Story ist.
Wild waren nur noch die Blutorgien der beiden Filme, und edel an ihren Helden allenfalls, dass sie Platzhalter für die radikalste vorstellbare Form von Individualismus waren: diejenige, in die sich niemand mehr einfühlen, mit der sich niemand mehr identifizieren kann.
Kurz vor dem Ende der 90er-Jahre griff der Blade Runner-Drehbuchautor Hampton Francher mit The Minus Man, der jetzt nach einigen Screenings auf dem Fantasy Film Festival endlich im 3001 zu sehen ist, das Genre von einer ganz anderen Seite an. Vann, der Minus Man, ist ein absoluter Jedermann: blond, smart, freundlich und höflich. „Ich trinke nicht, ich rauche kein Dope, ich gehe abends nie lange aus“, sagt er über sich. Gern erzählt er auch eine Geschichte aus seiner Kindheit: „Einmal ist eine Spinne in mein Ohr gekrochen. Aber sie ist gleich wieder raus: Niemand da.“
Vann kommt mit seinem Van in eine amerikanische Klein-stadt. Schon unterwegs hat er eine Frau umgebracht, die sich Casper nannte und an der Nadel hing. Er hatte sie ein Stück mitgenommen, und sie trank aus seinem Flachmann einen Schluck Amaretto, da allerdings war Gift drin. Nachdem der gewinnend freundlich lächelnde junge Mann sich bei einem etwas älteren Paar ein Zimmer gemietet und einen Job als Postbote angetreten hat, folgen weitere Morde. Nicht alle allerdings folgen dem „Flachmann-Muster“. Und bis zum Ende wird man nicht erfahren, welche der Morde tatsächlich von seiner Hand stammen.
Auf die üblichen Effekte des Genres hat Francher gänzlich verzichtet. Es fließt kein einziger Tropfen Blut, nichts erzeugt Spannung, kein langsamer Kameraschwenk, keine plötzlichen Bewegungen oder Schatten, keine bedrohliche Musik, keine angstvollen Augen eines potentiellen Opfers: Vann mordet so unauffällig und beiläufig, wie es seiner Erscheinung entspricht. Ein einziges Mal verliert er die Fassung: Gewalttätig reagiert er auf die körperliche Berührung einer in ihn verknallten Kollegin, doch nicht, ohne entsetzt über sich selbst bald wieder von ihr abzulassen.
Nur kurz blitzt hier auf, was andere Serienkillerfilme oft über ihre gesamte Dauer zelebrieren: die Brutalität des Täter aus einer Gewalt zu motivieren, die ihm selbst widerfahren ist, ihn somit als weiteres Opfer zu zeichnen. Gerade, weil die Vergangenheit des Minus Man im Dunkeln bleibt, weist der Film die Komplizenschaft der Zuschauer zurück. Das Zusehen ist nicht selbst ein Gewaltakt, weil es nichts gibt, an das sich Voyeurismus heften könnte.
Die eine Identifikation stützenden Doppelgänger des Mörders, die Detektive, die dem Mörder immer ähnlicher werden, sind hier nicht abgeschafft wie in Henry oder Mann beißt Hund: Vann phantasiert sie nur noch. Die durchgeknallten Detectives Blair und Graves, mit denen er herrlich surreale Gespräche hat, entstammen offenbar dem Bilderfundus von Filmen, die er gesehen hat, in Wirklichkeit ist Vann unverdächtiger als sein spleeniger Vermieter. – Und angesichts seiner Durchschnittlichkeit und seiner langweiligen Art fragen wir uns am Ende mit ihm, warum es nicht noch viel, viel mehr Gewalt auf der Welt gibt.
ab heute tägl., 22.45 Uhr, 3001
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