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„Aktiv kämpferisch und aggressiv“

Die Bundesregierung reicht ihren Verbotsantrag gegen die NPD in Karlsruhe ein. Anträge von Bundesrat und Bundestag stehen noch aus. Bundesinnenminister Schily gibt sich optimistisch. Vorerst keine Verbotsanträge gegen DVU und „Republikaner“

von SEVERIN WEILAND

Vierzig Minuten vor Mitternacht am 30. Januar lagen die Ordner im Gebäude des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe. Ihr Inhalt: der Antrag der Bundesregierung auf ein Verbot der NPD.

Eine ungewöhnliche Uhrzeit? „Ich wüsste nicht, warum das zu Erstaunen geführt haben könnte“, meinte Bundesinnenminister Otto Schily gestern vor der Presse in Berlin. Schließlich habe man das Material dem Gericht zeitig zur Verfügung stellen wollen, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, man diskutiere in Berlin schon über Material, das Karlsruhe noch nicht vorliege.

Dass bei der Wahl des Tages durchaus Symbolik im Spiel war, mag jedoch ein Blick in den Kalender erhellen: vor 68 Jahren, am 30. Januar 1933, wurde Hitler zum Reichskanzler ernannt. In der 103-seitigen Begründung der beiden Prozessbevollmächtigten Hans Peter Bull und Karlheinz Quack, aus der gestern der Presse Auszüge zur Verfügung gestellt wurden, wird das Verbot der NPD folglich auch mit ihrer „Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus“ begründet: Das NPD-Führungspersonal vertrete die in der NSDAP verbreiteten Vorstellungen „von einer rassisch oder ‚kulturell‘ geprägten ‚Volksgemeinschaft‘“, betreibe einen aggressiven Antisemitismus, strebe die Wiederherstellung des Reiches zu Lasten europäischer Nachbarn an, verherrliche führende Vertreter des NS-Regimes und benutze Formensprache, Begriffe und Kennzeichen der NSDAP.

Schily gab sich überzeugt, dass die Bundesregierung mit ihrem Antrag am Ende Erfolg haben wird. Er enthalte „klare Erkenntnisse“ zur Verfassungswidrigkeit der NPD. Sie strebe auf „aktiv kämpferische, aggressive Weise“ die Beseitigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung an. Dabei nutze die NPD die Partei als Organisationsform zur Unterwanderung der parlamentarischen Demokratie, an deren Stelle sie eine autoritäre und totalitäre Gesellschaftsordnung errichten wolle. Mit rassistischer, vor allem antisemitischer und fremdenfeindlicher Agitation sowie der Wiederbelebung nationalsozialistischen Gedankengutes beschädige die NPD darüber hinaus das Ansehen Deutschlands in der Welt.

Der Antrag wird laut Schily nachweisen, dass die NPD über eine Machtergreifungsstrategie verfügt. Ein Aspekt sei das Zusammenwirken von Neonazis und gewaltbereiten Skinheads. Nicht in den Antrag eingeflossen sind laut Schily Erkenntnisse, die mit nachrichtendienstlichen Mitteln, etwa aus der Telefonüberwachung, gewonnen wurden. Auch werde man keine V-Leute als Zeugen benennen, da das vorhandene Material, das sich „im Wesentlichen“ auf offen zugängliche Quellen stütze, für die Begründung ausreichend sei.

Schily schloss nicht aus, dass der Regierungsantrag mit den beiden noch ausstehenden Verbotsanträgen von Bundesrat und Bundestag in Karlruhe zu einem einzigen Antrag verbunden wird. Wann das Verfahren samt Anhörungen ansteht, ist offen. Schily selbst rechnete gestern mit einem Zeitraum von mindestens einem Jahr. Zunächst muss das Verfassungsgericht dem Antragsgegner, also dem NPD-Vorstand, die Möglichkeit der Stellungnahme einräumen. Anschließend prüft der zweite Senat unter Jutta Limbach, ob die Klage hinreichend begründet und zulässig ist. Erst dann kann das Gericht über eine Voruntersuchung entscheiden, auf die dann die Anhörung folgt.

Gegen andere rechte Parteien wird Schily vorerst nicht gerichtlich vorgehen: „Für Verbotsanträge gegen ‚Republikaner‘ und DVU reichen die Erkenntnisse derzeit nicht aus“, erklärte Schily.

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