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Das Gas, der Kreml und die Freiheit

Russlands Präsident Putin diskutiert mit Media-Most-Journalisten, lässt gleichzeitig deren Unternehmen durchsuchen und beruft sich auf die Unabhängigkeit der Justiz. Doch die Schulden beim Energieversorger Gasprom sind nur vorgeschoben

ErheblicherZweifel ander Neutralitätder Deutschen Bank

aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH

„Beängstigende Offenheit“ bescheinigte der Satiriker Wiktor Schenderowitsch niemand Geringerem als Kremlchef Wladimir Putin. Vor allem dessen Bekenntnis, die bitterböse Satiresendung „Kukly“ (Puppen) bereite ihm außergewöhnliches Vergnügen, irritierte die Edelfeder des bedrängten Privatsenders NTW. War der bisherige Eindruck falsch, Humor und Kritik seien im Zentrum der Macht nur schwer zu verdauen?

Elf Journalisten des Senders hatte der Präsident zur Aussprache Anfang der Woche in die Kreml-Bibliothek geladen und damit überraschend schnell und unkompliziert auf eine aufgebrachte Starmoderatorin reagiert, die den Präsidenten vor laufenden NTW-Kameras aufgefordert hatte, endlich persönlich darzulegen, was er mit dem Sender eigentlich zu tun gedenke.

Denn seit Mai schon schwelt der Konflikt um den Medienkonzern Media-Most und dessen TV-Flaggschiff NTW, Russlands einzigem unabhängigen Sender, der es wagt, Präsident Putin Paroli zu bieten.

Der Gründer und Mehrheitseigner der Most-Gruppe, Wladimir Gussinski, befindet sich bereits im spanischen Exil, wo ein Gericht sich derzeit mit dem Auslieferungsgesuch der russischen Staatsanwaltschaft befasst. Offiziell stellen die Strafverfolger dem Medienmogul wegen groß angelegten Betruges nach. Doch inzwischen stochern sie auch in den privaten Vermögensverhältnissen der Journalisten, flankiert vom staatlichen Fernsehen, das die Höhe von Privatkrediten, die Gussinski seinen Mitarbeitern gab, in den Nachrichten bekannt gibt.

Schulden scheinen ohnehin der wirksamste Hebel zu sein, um dem Sender den Garaus zu machen: Media-Most steht beim vom Kreml kontrollierten Erdgaskonzern Gasprom mit 40 Millionen Dollar in der Kreide, Gasprom hat außerdem für einen im Juli fälligen 261-Millionen-Dollar-Kredit der US-Bank Credit Suisse First Boston gebürgt.

Schon heute hält der Energiegigant 46 Prozent der NTW-Aktien, kürzlich blockierte ein Moskauer Schiedsgericht ein weiteres Aktienpaket von 19 Prozent, dessen Besitz die Gasprom-Tochter GaspromMedia für sich reklamiert. Damit hätte der Gaskonzern die Kontrolle über den Medienkonzern. Gasprom-Vertreter sollen jetzt Gussinski und andere Media-Most-Führungskräfte ersetzen, eine Personalunion zwischen Kreml und dem Energiegiganten besteht bereits: Dmitri Medwedjew, zweiter Mann in der Präsidialkanzlei, sitzt im Aufsichtsrat des Konzerns.

Vertuschung tut also nicht mehr not, inzwischen wird mit offenem Visier gekämpft. So schenkte ein sichtlich genervter Alfred Koch, Chef von Gasprom-Media, letzte Woche im NTW-Interview der Öffentlichkeit reinen Wein ein. Frank und frei gestand er, der Kreml übe erheblichen Druck auf ihn aus, Media-Most endlich ganz zu schlucken.

Um ebendies zu verhindern, suchte NTW schon im Herbst nach ausländischen Investoren, CNN-Gründer Ted Turner zeigte Interesse, Finanzmagnat George Soros bot ebenfalls an, dem Sender zur Hilfe zu eilen, und als vorerst letzter potenzieller Investor brachte sich die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung ins Gespräch. Allein – es geht gar nicht ums Geld.

Eine undurchsichtige Rolle scheint auch die Deutsche Bank in dem schmutzigen Geschäft zu spielen. Zumindest behauptet das Jewgeni Kiseljow, NTW-Generaldirektor und publizistische Galionsfigur des Senders. Laut Kiseljow hatten sich Media-Most und Gasprom im November geeinigt, ausländische Investoren zu finden. Aufgrund des beiderseitigen Misstrauens beauftragten sie die Deutsche Bank, als Vermittler und Zwischenhändler aufzutreten. Im Nachhinein kommt nun Zweifel an der Neutralität der deutschen Banker auf: NTW erhielt auf schriftliche Anfragen keine Antwort, sagt Kiseljow. Stattdessen habe die Deutsche Bank mit ihrem langjährigen guten Kunden Gasprom Ende Dezember einen Vertrag abgeschlossen, dem sich nicht eindeutig entnehmen lasse, ob der Aktienverkauf tatsächlich stattfinden soll.

Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft die Büros der Media-Most dreißigmal durchsucht –zuletzt während des Journalistentreffens im Kreml. Dort präsentierte sich Putin plötzlich als Anhänger der Gewaltenteilung: Gegen die unabhängige Staatsanwaltschaft sei auch er machtlos, sagte der ehemalige Geheimdienstler, aber schließlich wolle doch wohl niemand zur alten Praxis der Rechtsverordnung aus dem Kreml zurückkehren . . .

Die neue „Unabhängigkeit“ der Justiz demonstrierte dafür postwendend ein Moskauer Bezirksgericht: Am Mittwoch wurde NTW verurteilt, den Bericht zu widerrufen, der Kreml habe Generalstaatsanwalt Wladimir Ustinow ein Luxusapartment zugeschustert.

Wladimir Putin hingegen, so Satiriker Schenderowitsch, habe aus der Journalisten-Runde eine verblüffende Erkenntnis gewonnen: Es gibt tatsächlich Menschen, die meinen, was sie sagen.

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