: Angie hat hingelangt
Paradoxe CDU: Die Kampagne gegen Joschka Fischer kann nur scheitern – und wird verkrampft verfolgt. Das Rentenplakat war stimmig – und wird zurückgezogen
Ein Plakat. Was soll es bewirken in Zeiten des Millionärsquiz und der Container-Soap? Wer heute noch Plakate klebt, hat kein Internet und auch sonst keine Ahnung. Oder gehört einer Volkspartei an. Nur Volksparteien müssen Plakate aufstellen, um ihre Mitglieder im Wahlkampf zu beschäftigen. Denn sonst bieten sich dafür nur Info-Stände an. Harmlose Konsumenten werden samstagmorgens vor dem Einkaufsmarkt von Gymnasiasten angefallen, die Eiskratzer überreichen, um zu beweisen, dass die darauf signierte Partei mit Parlamentsmehrheit ausgestattet auch die Klimakatastrophe verhindern kann.
Anders verhält es sich mit Großflächenplakaten. Sie werden von der Parteizentrale des Bundes- oder Landesverbandes in Auftrag gegeben, präsentiert, in eine Wahlkampagne integriert und flächendeckend geklebt. Ein wenig überraschend, man könnte auch sagen: unprofessionell ist es schon, wenn der Bundesverband der CDU ihren Landesverbänden mitten im Wahlkampf ein Plakat aufnötigt.
Kaum verwunderlich daher die säuerlichen Kommentare in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz über das Berliner Rentenfahndungsplakat. Zumal es im Südwesten gar nicht geklebt werden sollte. Denn mittlerweile sind alle Parteizentralen dazu übergegangen, provozierende Plakate nur in einfacher Ausfertigung zu produzieren, in der vielfach bestätigten Hoffnung, dass diese schneller massenmedial verbreitet werden, als ein Jungunionist den Kleisterpinsel schwingen kann. Auch das berüchtigte „Rote Socken“-Plakat ist seinerzeit kaum plakatiert worden. Aber es wurde wie das Rentenfahndungsplakat in Zeitungen, Magazinen und Fernsehsendungen abgebildet und hat damit Reichweiten erzielt, die man mit öden bundesweiten Großflächenplakaten nicht erreichen kann – abgesehen davon, dass Letzteres sündhaft teuer und Ersteres fast kostenlos ist.
In jeder Nachrichtensendung war das jüngste CDU-Plakat zu sehen – sowohl am Tag der Präsentation als auch am Tag des vermeintlichen Rückzugs. Die Botschaft war stimmig, denn die Regierung Schröder hat nicht nur offenkundig ihre Rentenreform mehrfach bis zur Unkenntlichkeit novelliert, sondern auch eingestandermaßen Wahlversprechen gebrochen. Wer taz-Schlagzeilen (zu Recht) goutiert, muss auch Zuspitzungen aus Parteizentralen ertragen, die aus dem Titanic-Labor entsprungen sein könnten. Zumal dann, wenn ein Kanzler bisher gelungene Porträts für ein geeignetes Mittel hielt, polithandwerkliche Fehler zu überkleben.
Warum also geriet die CDU – die unter Geißler bösere Plakate geklebt hat – am zweiten Tag ins Entschuldigungsmäandern? Gut, das Plakat hat der Regierung und den ihr gegenüber aufgeschlossenen Redaktionen nicht gefallen. Das war freilich auch kaum zu erwarten. Die eigentliche Erklärung für Angelas Mea Culpa lautet daher wohl: Probleme mit einem aggressiven Plakat hatten vor allem die bürgerlich-braven CDU-Wähler selbst, die es unschicklich finden, mit Gerhard Schröder auch „den Bundeskanzler“ zu attackieren – ein Amt, das von den Verfassungsvätern eigens erdacht wurde, damit es von der CDU besetzt werden kann. Mentor dieser Mitglieder war Merz, der es sympathisch fand, im Rentenduell mit dem Kanzler auf Platz zwei zu landen, solange Merkel dabei Dritte wird.
Was diese Mitglieder wohl empfinden, wenn es um das Amt des Außenministers geht (das die CDU seltenst besetzt hat)? Ist es im Blick auf die internationale Wirkung nicht viel vaterlandsverräterischer, einen Außenminister zu attackieren denn einen Kanzler? Die Kampagne der CDU gegen Joschka Fischer war angehängt an den Aktionismus einer neurotischen Terroristinnentochter und dementsprechend unkoordiniert. Schlicht gestrickte Hinterbänkler albern sich durch die parlamentarische Fragestunde, feixend beobachtet von Helmut Kohl samt Spendenputztruppe. Während Generalsekretär Meyer noch zögert, ob er zum Florett oder zum Säbel greifen soll, werfen andere schon mit der Atombombe auf die ganze 68er-Generation.
Mit dieser Strategie ist Unerhörtes erreicht worden. Die Union liefert der rot-grünen Koalition den ideologischen Kitt frei Haus. Der Kanzler verteidigt Fischer und Brandt in einem Atemzug, und die Union merkt gar nicht, dass Brandts Polizisten sich mit Fischer kloppten. Gegen Fischers Hooligans der späten 70er den Kulturkampf des Jahres 1968 neu zu inszenieren ist für die CDU verheerend. Die Menschen, die angeblich „mitten im Leben“ stehen, ziehen sich die Talare über, gegen deren Muff sich selbst Helmut Kohl auf dem Weg nach oben profilieren konnte. Was soll das ?
Jede Wette: Fragt man Jugendliche, gegen wen sich Joschkas Steinewürfe richteten, verteilen sich die Antworten auf Konrad Adenauer und Helmut Kohl. Joschka Fischer kommt diese Ausblendung der Brandt-Ära gelegen: Nach seiner Lesart konnte, wer 1968 genug hatte vom Verschweigen der Nazi-Kontinuität, entweder Terrorist werden – oder Joschka! Da realistische Zeitzeugen wie Lord Dahrendorf in die Feuilletonbesetzerszene verdrängt sind, müssen wir nun wohl auf britische Historiker warten, um auch die 70er-Jahre seriös aufgearbeitet zu bekommen.
Wenn die Union – zu Recht – stolz ist auf Deutschland heute, dann müsste sie es als einen Triumph erleben, wenn Joschka Fischer der Stresemann in our times ist. Diese Biografie beweist schließlich, wie integrationsfähig die Bundesrepublik der Kohl-Ära war. Absurd, aus dieser Souveränität heraus einen Retrokampf zu inszenieren.
Was sind die Lehren aus zwei gescheiterten Kampagnen?
Erstens: Der Gegner der CDU ist der Kanzler und seine Partei. Rot-grüne Koalitionswähler sind bei den Grünen besser aufgehoben als bei der SPD. Nur wenn die Union in einer großen Koalition stärkste Partei wäre, könnte sie reüssieren (und den Kanzler stellen). Gestärkte CDU und gestärkte Grüne eröffnen außerdem eine weitere Koalitionsoption.
Zweitens: Bläst die Union zur Kanzlerattacke, sollte nur eine Trompete im Spiel sein. Es fehlt ein Oppositionsführer. Wenn dieser nur im Vorgriff auf die Kanzlerkandidatur bestimmt werden kann, dann muss das jetzt erfolgen, oder die Union schlummert im Stand-by-Betrieb. Noch kann Schröder die Attacken der Teilzeitoppositionsführer Merkel und Merz parieren, indem er die Rivalität beider nutzt, um inhaltliche oder taktische Unterschiede bei der CDU sichtbar zu machen.
Ob aber Merkel oder Merz das Zeug zum Kanzler haben? Solange sie ihre Aufgabe darin sehen, die Schwächen und Fehler des anderen aufzudecken, werden wir das kaum erfahren. Fest steht, dass nur Angela Merkel die Chance hat, Kanzlerin zu werden. Und das muss die Solidarität der Partei begründen. Aus diesem Gefühl heraus, ist sie zur Vorsitzenden gewählt worden. Er wäre nur vernünftig, diesem Gefühl weiter zu vertrauen und im Zweifelsfall nicht zurückzustecken: „Entschuldigung! Angie hat eben auch mal hingelangt.“
MARKUS SCHUBERT
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