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Aktives Mutterschiff

Naturwissenschaft ist immer noch Männersache. Deshalb sind die Forschungsergebnisse oft genug einseitig. Ein Buch von Londa Schiebinger bilanziert das Potenzial des feministischen Blicks

von ULRIKE WINKELMANN

Britische und australische Grundschülerinnen und -schüler, war jüngst in Pressemeldungen zu lesen, stellen sich Wissenschaftler vor allem als weiße, alte Männer mit Strubbelhaar, Brille und Laborkittel vor. Das ergab eine Studie des britischen Zentrums für Grundschullehrerausbildung, das viertausend Kinder gebeten hatte, einen scientist, eine(n) Wissenschaftler(in), zu zeichnen. An den Grundschulen soll nun künftig Material verwendet werden, in dem auch nichtweiße und weibliche Wissenschaftler auftauchen. Das Ziel: Alle Kinder gleichermaßen für die Wissenschaft zu begeistern, nicht nur die weißen Jungs.

Auch Londa Schiebinger, Wissenschaftshistorikerin an der Pennsylvania State University, zitiert in ihrem jüngsten Buch derartige Kinderstudien; sie finden seit den Fünfzigerjahren statt, und offensichtlich hat sich am Ergebnis nichts geändert. Die Kinder malen, was immer noch stimmt: Naturwissenschaftler sind in den USA zu zwei Dritteln, in Deutschland zu mehr als drei Vierteln Laborkittelmänner, keine Laborkittelfrauen. Und das trotz Jahrzehnten geschönter Grundschulbücher, um nur eine von unzähligen Maßnahmen zu nennen, Frauen in die Naturwissenschaften zu locken und ihnen dort akademische Karrieren zu ermöglichen.

Schiebinger zählt sie auf, die Förderprogramme, die Qualifizierungs- und Quotierungsversuche und was es – vor allem in den USA – dergleichen mehr gegeben hat, und fragt bilanzierend: „Has Feminism Changed Science?“ So lautet der Originaltitel, und hätte man beim C. H. Beck Verlag das Buch auch gelesen, bevor man das Cover gestaltete, wäre man schon in der Einleitung auf die Seite gestoßen, auf der Schiebinger erklärt, warum es verlogen ist, von „Frauen“ und „Weiblichkeit“ zu reden, wenn „Feministinnen“ und „Feminismus“ gemeint sind. Dem Buch wäre der peinliche deutsche Titel „Frauen forschen anders. Wie weiblich ist die Wissenschaft?“ (325 Seiten, 39,90 Mark) erspart geblieben.

Das richtige Buch im richtigen Augenblick. Titelseiten und Feuilletons sind voll von geklonten Schafen, genmanipulierten Affen und dem Erbgut von Fruchtfliegen. Konsens der Kommentare ist, dass die Herausforderung durch die Naturwissenschaften nie größer gewesen ist als gerade jetzt. Thomas Assheuer, Zeit-Feingeist, hat in der aktuellen Spielart des Naturalismus bereits eine neue, „synthetische Hochreligion“ ausgemacht. Angesichts der fortschreitenden Kulturalisierung insbesondere des molekularbiologischen Diskurses wurde es Zeit, darauf hinzuweisen, dass es übrigens Feministinnen waren, die schon vor Jahrzehnten darauf bestanden, dass Naturwissenschaft mit Perspektiven, Vorurteilen, geschichtlichen Kontexten, Metaphern und all dem zu tun hat, was die Geisteswissenschaften auseinanderzupflücken sich bemühen.

Schiebinger erwähnt hier vor allem die Primatologinnen, die sich selbst als Vorkämpferinnen der Frauen in den Naturwissenschaften verstehen. Linda Fedigan geht so weit, die Affenkunde als feministische Wissenschaft par excellence zu bezeichnen, indem sie ihr, kurz gesagt, sämtliche akademischen Tugenden von Reflexivität bis Egalitarismus zuschreibt. Eine gewagte These, aber unleugbar waren die Forschungsergebnisse, zu denen Jeanne Altmann, Sarah Hrdy, Fedigan und andere in den Siebziger- und Achtzigerjahren kamen, revolutionär: Jahrzehntelang glaubte die Affenforschung, Affengesellschaften würden von der Konkurrenz dominanter Männchen beherrscht, die aggressivsten Männchen setzten sich im Kampf um den stumm und dumm den Nachwuchs säugenden Harem gegen schwächere Männchen durch. Es waren Forscherinnen, die sich mit den Weibchen zu beschäftigen begannen und, siehe da, herausfanden, dass Weibchen ebenfalls aggressiv sind, zu Promiskuität neigen und dem Affenhaufen eine soziale Struktur geben.

Mit neuen Fragestellungen haben Forscherinnen seit den Achtzigerjahren auch die Paläanthropologie und die Archäologie auf ihre Vorurteile hin geröntgt. Die Anthropologin Margaret Conkey etwa stellte Merkwürdigkeiten bei der Beurteilung urzeitlicher Grabbeigaben fest: Fand man zum Beispiel Stößel in dem Grab einer Frau, so handelte es sich um einen Hinweis auf deren hausfrauliche Tätigkeit. Fand man die gleichen Stößel in Männergräbern, so war dies unzweifelhaft ein Hinweis darauf, dass die Männer sie hergestellt hatten. Conkey nahm solche Beobachtungen zum Anlass, zu erforschen, inwieweit das Wissen über den Ur- und Frühmenschen von einer viel später entwickelten Vorstellung einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung bestimmt ist. In den Wissenschaften von Affen und frühen Hominiden verwandeln sich so die vermeintlichen Erkenntnisse zu Projektionen, zu Produkten des 19. und 20. Jahrhunderts, rückübertragen auf Wesen, die von geschlechtlicher Arbeitsteilung und Rollenzuweisung nichts kannten.

Geradezu poetisch nimmt sich neben solch derber Textarbeit die Aufgabe aus, die sich Feministinnen in der Biologie, zumal der Zellbiologie, gesetzt haben: den Klassiker schlechthin, den Abenteuerroman der Empfängnis, umzuschreiben. Die Erzählung vom tumben Ei, das träge im Eileiter dämmert, bis das heldenhafte Spermium angerauscht kommt und sich kraftvoll durch die Zellwand bohrt. Durch jahrelange Arbeit an der Darstellungsform kamen Wissenschaftlerinnen zu ungefähr folgendem Ergebnis: Das Ei ist ein hoch entwickeltes, dynamisches Mutterschiff, das durch ausgefeilte Technik das Spermium aus der Schleimsuppe ringsum gleich einem treibenden Flößer retten und aufnehmen kann. Hierbei, so Schiebinger, handele es sich mitnichten nur um einen Wechsel der Metaphern: Anhand von Heide und Gerald Schattens Interpretation vom energetischen Ei seien in der Tat unbekannte reale Vorgänge erkannt worden.

Die jüngste und rhetorisch üppigste Version dieser Erzählung stammt von der – in Schiebingers Buch noch nicht erwähnten – US-Wissenschaftsjournalistin Natalie Angier, die im vergangenen Jahr mit ihrem Buch „Frau. Eine intime Geografie des weiblichen Körpers“ (Bertelsmann, München, 541 Seiten, 48 Mark) Furore machte. Mit Angiers Namen ist auch der Name der Bewegung verbunden: „Femalismus“ tauft sich das Programm zur naturwissenschaftlichen Neuentdeckung der Frau.

Doch so wenig, wie Schiebinger sich damit befasst, wieso und wie weit die von ihr zusammengetragenen Beispiele inhaltlich und programmatisch zusammenpassen, so wenig geht sie auf die Methodik ein. Vermutlich möchte sie dadurch ihr Versprechen einlösen, nicht in die „esoterische Sprache“ der Geisteswissenschaften zu verfallen. Offensichtlich ist jedoch, dass ein feministischer Erkenntniszuwachs in all den Wissenschaften möglich war und ist, die sprach- beziehungsweise textbezogen forschen und deren Ergebnisse allzu leicht nur Muster der gesellschaftlichen Rollen- und Arbeitsteilung reproduzieren, wie etwa die Paläanthropologie mit ihrem anstrengenden Der-Mann-als-Jäger-Muster.

Anders sieht es in der Mathematik und der Physik aus: Hier, gesteht Schiebinger, „warten wir noch auf Akademikerinnen (und Akademiker) mit der geeigneten Ausbildung und passenden Gelegenheit, um den Einfluss von Geschlechterkonzepten auf den Wissensbestand dieser Fächer zu erforschen“. Sie beschränkt sich daher darauf, das Selbstbild vor allem der Physik als beinharte Männersache – „nichts für Hasenherzen“ – zu beschreiben: die Welt der reproduzierbaren Tatsachen und der Logik. Und darauf aufmerksam zu machen, dass die Physik zuvörderst im Dienste des Militärs steht, ein Umstand, der Frauen tendenziell abschreckt und zum Beispiel Lise Meitner bewog, nach der Entdeckung der Kernspaltung mit Kollege Otto Hahn die Einladung der USA auszuschlagen und nicht an der Atombombe mitzubauen.

Doch erkenntnistheoretisch gesehen bemisst sich der Härte- beziehungsweise Weichheitsgrad einer Wissenschaft an ihrem kritisch-verstehenden Anteil. Tragischerweise korreliert der mit dem Anteil der Frauen wie mit dem Anteil feministischer Erkenntnis. Je weicher, desto Frau. Anders gesagt: Feminismus funktioniert dort, wo die Naturwissenschaft ihre kulturellen und sozialen Dimensionen hat. Böse formuliert: Feminismus und Naturwissenschaft funktioniert überhaupt nicht. Was für eine hässliche Sackgasse.

Also doch eher das falsche Buch im gegenwärtigen Augenblick? Denn wer interessiert sich eigentlich gerade für Physik? Die Debatte nämlich, die derzeit nicht nur in den Feuilletons zur „Neuen Biologie“ läuft, bietet dank der feministisch gepflegten Mittel der Wissenschaftskritik und Metaphernkunde durchaus neue Aussichten auf die wuchernde Deutungsmacht, die vor allem von der Gentechnik beansprucht wird. Die US-Wissenschaftshistorikerin Lily E. Kay etwa beschreibt, dass der Gencode mitnichten ein Code oder eine Sprache ist. Die ganze Rede vom Buch des Lebens, in das der Mensch jetzt schaue, gehört demnach zu den weitgehend leeren Versprechungen, die die Vertreter etwa des Humangenomprojekts machen, um sich Forschungsmittel und das Zutrauen der Aktionäre zu sichern. Ähnlich argumentiert Kays ungleich bekanntere Kollegin Evelyn Fox Keller: Es sei nach wie vor unklar, schreibt sie in ihren jüngeren Publikationen, was ein „Gen“ überhaupt ist. Zu fragen sei, ob das Sprachbild des „Gens“ nicht eigentlich der Erkenntnis eher hinderlich als förderlich sei.

Schiebinger nimmt die Möglichkeiten, die sich angesichts des medial geweckten Interesses an der Molekularbiologie und der ihr verwandten Technologien bieten, nicht wahr. Deshalb übersieht sie auch, dass die Naturwissenschaftler in diesen Fächern selbst mittlerweile zugestehen, wie wichtig die historische, sprachliche und politische Kritik an ihren Projekten ist. Stattdessen wiederholt Schiebinger noch einmal die Lehre von den zwei Kulturen nach C. P. Snow, wonach die literarischen Wissenschaften – die „Kultur der Frauen“ – und die Naturwissenschaften nie zueinander finden oder sich auch nur verstehen könnten. Dabei sitzen längst Natur- und Geisteswissenschaftler auf Konferenzen und Podien beieinander und versuchen, einander die Frage nach biologischer Determination und freier Individualität, nach dem technisch Machbaren und dem gesellschaftlich Gewollten zu beantworten. Hier gälte es, das Erbe des Feminismus, das geschärfte Bewusstsein dafür, wo Menschen in den Dienst der Wissenschaft gestellt werden statt umgekehrt, und wo Stereotype die Erkenntnis verstellen, geltend zu machen. Zugegeben: Das brächte dann nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer weiter. Aber das wäre ja auch kein Schaden.

ULRIKE WINKELMANN, 29, ist Chefin von Dienst in der taz

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