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Das AG bekommt wieder die Kleinen

■ Volle Aula beim traditionsreichen Bremer „Alten Gymnasium“: Eltern wollen „die unsägliche Orientierungsstufe“ umschiffen

Wenn Schulverwaltungsbeamte der Schulbehörde über Schule reden, dann wird es anstrengend. Am Donnerstagabend waren gut 150 interessierte Eltern und auch einige SchülerInnen in die Aula des Alten Gymnasiums (AG) gekommen, um sich über einen „Schulversuch“ zu informieren: Das AG soll zukünftig wieder mit der 5. Klasse beginnen. Das war früher ganz normal, in Bremen ist es inzwischen ein Schritt ins Neuland. „Viele unserer Lehrer haben nie so Kleine unterrichtet“ gestand Schulleiter Herbert von der Heide. Um mit dem Schulgesetz nicht in Konflikt zu kommen, darf man auch nicht von „Rückkehr zum Gymnasium ab der 5. Klasse“ reden, sondern von „Schulversuch“ und „schulartspezifische Orientierungsstufe“.

Mit zwei zusätzlichen Klassen will das AG beginnen, später sollen es vier werden. Wird es dafür auch zusätzliche Lehrerstellen geben? „Ich gehe davon aus, dass wir in der Verpflichtung stehen“, antwortet der Schulrat. Konkreter könne er sich nicht festlegen, da er dafür nicht zuständig sei in der Behörde.

Zwei neue Klassen – das bedeutet, dass 60 SchülerInnen aufgenommen werden können. Die anwesenden Eltern im Saal schauten sich um in der vollen Aula und schlossen messerscharf, dass es mehr Anmeldungen geben könnte als Plätze angeboten werden. Dann wird gelost, sagt die Behörde. Und warum werden nicht mehr Klassen angeboten? „Wir steuern das bremische Bildungswesen nicht ausschließlich nachfrageorientiert“, erklärte Schulrat Henschen das Prinzip. Aber warum kommen Schüler aus Schwachhausen, die schon bevorzugt am Kippenberg-Gymnasium aufgenommen werden, für das AG gleichberechtigt in die Lostrommel? Haben da nicht einige eine „doppelte“ Chance auf eine „gymnasiale“ OS im Vergleich zu denen, deren Eltern so blöd waren, nicht nach Schwachhausen zu ziehen? „Das ist so“, bestätigt Schulrat Bruns .

Eigentlich waren die Eltern aber nicht gekommen, um sich über die Denkweise der Schulbehörde ein Bild zu verschaffen, sondern über die neue Art der 5. Klassen. Wie sich genau die „schulartspezifische“ Orientierungsstufe von der normalen Orientierungsstufe unterscheiden soll, das konnten die Vertreter des AG allerdings nicht sagen – an dem Konzept werde noch gearbeitet. Klar ist nur: Erst am Ende der 5. Klasse können Eltern und Schule gemeinsam entscheiden, wer in den beiden Klassen für einen „Schnellläufer“-Durchgang geeignet scheint. Wer das nicht möchte oder kann, wird am Alten Gymnasium ganz normal auch die 6. Klasse absolvieren. In die siebte Klasse werden dann entsprechend weniger „fremde“ Schüler aufgenommen. Die Aufnahme neuer SchülerInnen soll schrittweise zwei Jahre vorgezogen werden, in einigen Jahren haben „Quereinsteiger“ aus normalen Orientierungsstufen nur eine Chance am AG, wenn in den „eigenen“ 7. Klassen Plätze frei sind. Heißt das, dass das AG dann wieder ein „normales“ durchgängiges Gymnasium wird? Schulleiter von der Heide nickt heftig.

Die Vertreter der Schule wollten einen Eindruck davon haben, wieviele der interessierten Eltern wegen des „Schnellläufer“-Angebotes ans AG streben. Das Meinungsbild ergab, dass sich beide Motive etwa die Waage halten. Die Frage sei doch, „wie umschiffen wir die unsägliche Orientierungsstufe“, erklärte eine Mutter – und bekam ganz heftigen Beifall.

Zielgruppe des AG seien alle lernwilligen Schüler, das AG wolle keine Auslese der „Hochbegabten“ betreiben, versicherte der Schulleiter. Die große Hoffnung sei, die riesigen Probleme zu vermeiden, die es bisher in der 7. Klasse gebe. „In der 5. Klasse können wir die Arbeitshaltung der Kinder noch etwas besser beeinflussen“. Das sei auch „die entscheidende Unterstellung“ bei der Vorstellung, ein ganzes Schuljahr könnte bei besserer Organisation eingespart werden.

Bis zm 8. Februar können Anmeldungen für die 5. Klasse abgegeben werden, bis zum 22.Februar sollen die Eltern schon informiert sein, wer Los-Glück gehabt hat.

Am Kippenberg-Gymnasium ist die pädagogische Begründung für die „schulartspezifische“ Auswahl in der 5. Klasse dieselbe. „Normal begabte Schüler sind doch in der Orientierungsstufe nicht ausgelastet“, sagt Schulleiter Günter Gerlach. Die Kinder „gewöhnen sich dran, dass sie mit halber Kraft passable Noten bekommen“. Die derzeitigen 5. Klassen sollen ein Fünftel schneller vorankommen als das normale Curriculum es erlaubt. Nach diesem Prinzip könne der Stoff der sechs Klassen 5 bis 10 auf fünf Schuljahre verteilt werden. „Das läuft gut nach unseren Erfahrungen aus dem ersten Jahr“, sagt der Schulleiter. Zu der Elternversammlung des Kippenberg-Gymnasiums, das wieder fünf 5. Klassen einrichtet, waren mehr als 300 Interessierte gekommen. K.W.

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