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Die Frauen gehen leer aus

Philip Roth‘ neuer Roman „Das sterbende Tier“ ist ein Buch über die Liebe und den Tod, vor allem aber auch über das (männliche) Alter, den (männlichen) Genuss und die (männliche) Erfahrung

Aus der Brust, dem Hort allen schönen Anfangs, ist der Hort allen Übels geworden

von GERRIT BARTELS

Er scheint mit den Jahren ein sehr, sehr geiler Hengst geworden zu sein, dieser David Kepesh, und ein souveräner dazu. Zumindest muss man das annehmen, wenn man ihn zu Beginn von Philip Roth’ neuem Roman „Das sterbende Tier“ so reden hört. Er ist sich seines intellektuellen Glamours als Literaturprofessor und regelmäßig auftretender TV-Kulturkritiker sehr bewusst, und die jungen Studentinnen, die sein Oberseminar „Praktische Kritik“ bevölkern, fliegen auf ihn – jedes Jahr aufs Neue weiß er schon in der ersten Stunde, „welche für mich bestimmt ist“. So ergeht es ihm auch mit der großbrüstigen kubanischstämmigen Consuela, „eine Frau, die erst vor so kurzer Zeit geschlüpft ist, dass ich nicht überrascht gewesen wäre, wenn an ihrer glatten, eiförmig gekrümmten Stirn noch Schalenstückchen geklebt hätten“. Erst auschecken die Küken, dann während der Seminarzeit genüsslich stillhalten, schließlich auf einer Party gezielt abschleppen – Kepesh kennt das Prozedere und beschreibt es mit saftigen Worten.

Wer das Buch dann nicht nach solcherart erstem Gebrauch auf einer öffentlichen Toilette liegen gelassen hat, erinnert sich vielleicht, dass Kepesh schon in frühen Roth-Romanen der „Professor der Begierde“ war, der von erotischen Begegnungen mit Kafkas Huren träumte und sich eines Tages in eine große, weibliche Brust verwandelt sah; eine arme Sau, fasziniert von der weiblichen Schönheit, aber immer unglücklich; eine Witzfigur. Zu einer solchen entwickelt er sich andeutungsweise auch in diesem Roman. Er verliebt sich nämlich in Consuela, mit allem, was dazugehört: Verschmelzungsfantasien, Kopflosigkeit und totale Eifersucht, nicht zuletzt auch auf sich selbst, auf den jungen Mann, der er einst war. Kepesh verliert seine ganze Souveränität, „seinen Realismus, seinen Zynismus, seinen Pragmatismus“, wie es einmal heißt, was ihm nachfolgend Anlass ist für zahlreiche mehr oder weniger altersweise Reflexionen.

„Das sterbende Tier“ ist so nicht nur ein Buch über das Alter, den Genuss und die Erfahrung, sondern auch über die Liebe, den Tod und ihre enge Verwandtschaft. Und es ist ein Buch über die sexuelle Revolution der Sechziger und ihre Folgen, über die Einsamkeit in den Städten und die Unmöglichkeit, tragfähige Beziehungen zu erhalten. Der 62-jährige Kepesh, damals wie heute „kein Kind der Zeit“, ist der folgsamste Jünger der wilden Sechziger. Er hat sich seine Freiheit erkämpft, hat Frau und Sohn verlassen, um promisk leben zu können, und ist ein großer Verächter der Liebe geworden: „Die Leute denken, wenn sie sich verlieben, werden sie ganz? Die platonische Vereinigung der Seelen? Ich glaube, es ist anders. Ich glaube, dass man ganz ist, bevor alles anfängt. Und dass die Liebe einen zerbricht.“

Ja, und dann läuft ihm Consuela über den Weg und alle Einsicht ist perdu. Schlimm genug ist es für ihn schon während ihrer gemeinsamen Zeit, doch auch nach der Trennung braucht er Jahre, um sich zu lösen. Selbst beim nächtlichen Pinkeln, bei dem sieben Achtel des Verstandes noch schlummern, denkt das eine Achtel immer nur: Consuela! Consuela!

Das ist natürlich lustig, wie so manches andere in diesem Buch. Etwa wenn Kepeshs Freund George noch auf dem Totenbett seiner Frau an die Wäsche will, diese am Ende aber sagt: „Ich frage mich, wen er gemeint hat.“ Das ist natürlich auch luzide, etwa wenn Kepesh erzählt, wie sein 42-jähriger Sohn von einem Beziehungsgefängnis ins nächste taumelt, oder ein anderer Freund nur dann häufig wechselnde Partnerinnen haben kann, wenn er in einer festen Beziehung lebt. Zumindest Männer dürften so ihre Liebes-, Tod-, und Altersdiskurse zur vollen intellektuellen Zufriedenheit verhandelt wissen. Frauen aber kommen eher schlecht weg. Sie sind entweder brav und naiv, aber sich ihrer Reize bewusst, wie Consuela, oder sie sind sexuell befreit, aber zur Erbauung der Männer, oder sie sind erfolgreich im Beruf, aber privat unglücklich, so wie die Augenärztin Elena mit ihren 19 Blinddates: „Elena ist intelligent und unerhört tüchtig, aber bei ihr entspringt der Wunsch nach einem Kind der ganz normalen Gedankenlosigkeit.“ Nun ja.

Das alles aber kippt zum schlechten Ende leider so richtig ins Schlüpfrig-Schwitzig-Altmännerfantastische. Consuela meldet sich nach langen Jahren wieder bei Kepesh, um Trost zu suchen: Sie hat Brustkrebs. Vor allem aber, um sich ein letztes Mal bestaunen und in ihrer Pracht nackt von Kepesh fotografieren zu lassen! Wenn das nicht runtergeht wie Öl! Wenn das nicht Gerechtigkeit für einen schmachtenden, dem Tode nahen alten Mann ist! Aus der Brust, dem Hort allen Anfangs und Begehrens, ist der Hort allen Übels geworden, und die junge Frau ist dem Tod näher als der zwar alte, aber rüstige Mann. Ein sterbendes Tier und noch ein sterbendes Tier und ein Sieger, der wenigstens weiß, dass er leer ausgehen wird: „Denken Sie nach“, wird Kepesh am Ende gewarnt, als er zu Consuela ins Krankenhaus eilen will, „denn wenn Sie gehen, sind Sie erledigt“. Nichts anderes aber möchte man ihm wünschen. Auf dass er seinen Stuten in irgendeinem finsteren Nirvana nachstellt und Roth ihm ewige Ruhe gewährt.

Philip Roth: „Das sterbende Tier“. Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren. Hanser, 165 S., 16,90 €

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