Die Freiheit der Syndikalisten

Drei Berliner Hausgemeinschaften versuchen mit dem Freiburger Mietshäuser Syndikat ihr Haus zu kaufen. Bei diesem Modell bekommt der Hausverein die Rechte eines Eigentümers, die Bewohner bleiben dennoch Mieter. Durch das Syndikat wird die Immobilie zudem auf Dauer dem Markt entzogen

von CHRISTOPH VILLINGER

Sollen wir kaufen? Oder besser nicht? Wie kann man die Freiheit als MieterIn, jederzeit ausziehen zu können, mit dem Kauf eines Hauses zu kombinieren? Diese Fragen stellten sich die BewohnerInnen der 1980 besetzten und schließlich legalisierten Kreuzberger Oranienstraße 45, als ihnen der bisherige Eigentümer, die landeseigene Bewoge, „ihr Haus“ zum Kauf anbot. Seit der Aufhebung des Sanierungsgebiets im Sommer 2002 verkauft die Wohnungsbaugesellschaft ihre Häuser rund um den Oranienplatz. Zwar bekommen zuerst die BewohnerInnen ein Angebot. Doch da ein Kauf meist außerhalb der wirtschaftlichen und sozialen Möglichkeiten der MieterInnen liegt, werden die Gebäude bald darauf auf dem freien Markt angeboten. Mit den bekannten Folgen.

Den BewohnerInnen der Oranienstraße 45 war besonders eins wichtig: „Wir wollten auf keinen Fall private EigentümerInnen unseres Hauses werden“, betont Silvia Colitti Woller. Zu oft habe sie erfahren, wie die dadurch ausgelöste soziale Dynamik eine Hausgemeinschaft sprenge. „Keineswegs bruchlos, aber schließlich von Herzen“, so Miriam Schirbel, „entschieden wir uns für das Modell ‚Mietshaus in Selbstorganisation‘.“

Das bietet das ursprünglich aus Freiburg stammenden Mietshäuser Syndikat. Hierfür organisieren sich die BewohnerInnen eines Hauses in einem Hausverein. Um sich am Syndikat beteiligen zu können, müssen sie den Prinzipien des gemeinschaftlichen Eigentums, sozialgebundener Vermietung und einer Verwaltung ihres Hauses in Selbstorganisation zustimmen. Der Hausverein gründet nun gemeinsam mit dem MHS eine „Haus GmbH“, die das Gebäude und Grundstück kauft. Obwohl sich das MHS mit 49 Prozent am Stammkapital beteiligt, beschränkt sich das Stimm- und faktische Vetorecht des MHS in der „Haus GmbH“ auf alle Fragen des Verkaufs. So werden Gebäude und Grundstück auf Dauer dem Immobilienmarkt entzogen – das Eigentum ist neutralisiert.

Die BewohnerInnen bleiben MieterInnen, kümmern sich aber – quasi wie ein Eigentümer – um alle mit dem Haus zusammenhängenden Fragen selbst und autonom: die Bezahlung der Zinsen und Tilgungen der Kredite für den Hauserwerb, die Bewirtschaftungs- und Betriebskosten sowie eventuell anstehende Renovierungs- und gewünschte Modernisierungsmaßnahmen. Ein- und Auszüge von neuen Mietern sind rechtlich kein Problem. Man geht also keine „lebenslange“ Entscheidung oder gar Verpflichtung ein.

Bleibt das eigentliche Problem im Kapitalismus, die Finanzierung des Immobilienkaufs. Noch vor einem Jahr war für die BewohnerInnen der Oranienstraße 45 ein Kauf über das MHS zu teuer. „Erst als im Frühjahr die Hypothekenzinsen auf unter 5 Prozent fielen, entschieden wir uns fürs MHS“, berichtet Silvia Colitti Woller. Zuvor bastelten sie lange an einem Erbpachtmodell mit einer Stiftung.

Das Finanzierungsmodell des MHS steht auf drei Standbeinen. Zum einen aus Direktkrediten von Privatpersonen, die jeweils zwischen 500 und mehreren tausend Euro bei der „Haus-GmbH“ wie bei einem Sparbuch anlegen. Abgesichert ist der Kredit durch eine Sammelgrundschuld im Grundbuch. Mit den BewohnerInnen wird ein Zinssatz zwischen 0 und 3 Prozent ausgehandelt. Letzteres bringt derzeit deutlich mehr als die Sparanlage bei einer Bank, doch für die „Haus-GmbH“ ist das immer noch billiger als ein Hypothenkredit. Diesen erhalten die Projekte des MHS meist von der Gemeinschaftsbank für Leihen und Schenken in Bochum. Als drittes Standbein vergibt die GLS-Bank Bürgschaftskredite. FreundInnen übernehmen Bürgschaften bis zu 3.000 Euro und damit bekommt die „Haus-GmbH“ weiteres Geld.

Seit dem Ende der Selbsthilfeförderungen des Landes Berlin müssen nun auch die Baukosten anders finanziert werden. Der Hausarchitekt der Oranienstraße 45, Bernhard Hummel, verhandelt schon über die Förderprogramme mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau. „Damit wollen wir unseren langfristig geplanten Einbau einer Zentralheizung finanzieren.“

Da beim Modell des MHS die einzelnen Häuser wirtschaftlich autonom sind, wird die Umverteilung zwischen den Häusern über einen Solidarfonds geregelt. Alle MieterInnen zahlen mindestens 5 Cent pro Quadratmeter ein, bei den älteren und damit ökonomisch besser gestellten Projekten steigt dieser Beitrag bis auf 25 Cent. Daraus werden neben der Öffentlichkeitsarbeit und der Beratung für neue Projekte auch das Eigenkapital für neue Projekte bezahlt.

Davon wollen auch die BewohnerInnen der 1990 besetzten und später von der Wohnbau Friedrichshain mit Mietverträgen ausgestatteten Liebigstraße 34 und der Grünberger Straße 73 profitieren. Wie die „O 45“ sind sie seit diesem Sommer gemeinsam mit 16 anderen Hausgemeinschaften in ganz Deutschland Syndikalisten. Denn wie ein privater Eigentümer das gemeinschaftliche Leben verunmöglichen kann, erleben die Friedrichshainer Projekte am Beispiel der räumungsbedrohten Rigaer Straße 94. „Nach der angekündigten Modernisierung unseres Hauses würde sich zudem die Miete verdreifachen“, fürchtet Katrin Schmidt aus der Grünberger 73, „und die baulichen Veränderungen machen ein Leben in großen WGs unmöglich.“ Das soll verhindert werden. Durch Selbstverwaltung im Syndikat.