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Leben eines Brotaktivisten

Hans Jürgen Leib gründete 1978 die erste Berliner Biobäckerei mit. Heute besitzt er eine Kette mit fünf Filialen und fährt Mercedes. Doch seine Leidenschaft ist die gleiche geblieben: sauberes Brot backen

von DINAH STRATENWERTH

Da ist schon der erste Klischeebruch: Der Ökobäcker sitzt im dicken, schwarzen Mercedes. Vom Hof der heimischen Backstube in Falkensee steuert Hans Jürgen Leib in Richtung Mühle Bockhorst. Pro Woche schickt der Müller ihm sieben Tonnen Getreide für seine Bäckerei, Ökogetreide natürlich. Leib ist Mitbegründer der ersten Berliner Ökobäckerei, die im Jahre 1978 öffnete. Damals gründeten sich auch die Grünen. Leib ist ein politischer Mensch, doch das Backen war und ist ihm wichtiger als alles andere. Er ist vor allem ein Brotaktivist.

„Nicht der Teig muss sich dem Menschen anpassen, sondern der Mensch dem Teig!“ Wenn er diesen Satz sagt, wirkt Leib fast leidenschaftlich. Er spricht sonst langsam, wählt Worte mit Bedacht und zeigt dann Gefühle, wenn es ums Backen geht. Um sein Ziel: sauberes Brot zu backen und zu verkaufen.

Vor 25 Jahren half er vier Studenten, die eine Bäckerei eröffnen wollten und einen Bäckermeister brauchten. Heute hat er eine eigene Bäckerei, das Backhaus, mit einer großen Backstube in Falkensee und fünf Filialen in Berlin. Er kauft biologisch angebautes Getreide, das für den Weg zur Mühle versiegelt wird, damit es rein bleibt.

Die Bockhorster Mühle ist ein kleiner, alter Backsteinbau, innen riecht es erdig. Es war nicht so einfach, eine kleine Mühle zu finden, erzählt Leib, die ihm genau seine sieben Tonnen mahlt. Denn im Vergleich zu dem Bedarf von Großbäckerein sind sieben Tonnen Mehl nicht viel. Die Getreidekörner werden nicht mit Mühlsteinen zerschrotet, sondern es wird eine Schicht nach der anderen abgeschält.

Leib ist inmitten von Mehl und Öfen aufgewachsen. Seit er zehn war, arbeitete er zusammen mit seinen vier Brüdern in der väterlichen Backstube. Backen war so selbstverständlich wie Brot essen. Ebenso klar war, dass er nach der Schule bei seinem Vater in die Lehre ging. Gezwungen oder gewollt? Leib lächelt verlegen, denkt nach, sagt dann: „Na ja, halb und halb.“ Er schloss seine Meisterprüfung ab.

Dann kam der erste Bruch mit dem Backgewerbe: Weil seine zukünftige Frau keine Lust auf Bäckereitheke hatte, machte er die Fachhochschulreife nach und ging nach Berlin, um Lebensmitteltechnologie zu studieren. Danach arbeitete er in einer Schokoladenfabrik. Dort fehlte ihm die Teamarbeit, die er aus der väterlichen Backstube kannte. Die Chance, wieder selbstständig zu werden, bot sich 1978, als er die Studenten kennen lernte. Die hatten bis dahin zu Hause Früchtebrötchen gebacken und sie vor der Uni verkauft.

Von ihnen lernte Leib nicht nur, dass es Spaß macht, nach getaner Arbeit auf der Wiese zu liegen. Sie rissen ihn auch politisch mit. An Tagen, an denen Demonstrationen stattfanden, war die Bäckerei geschlossen und an der Tür hing ein Schild mit einem Demoaufruf. Die neu gegründete taz war „Pflichtlektüre“, und das junge Bäckerkollektiv gab dem KaDeWe eine Abfuhr, als das Kaufhaus Brot kaufen wollte. Die jungen Biobäcker profitierten von der linken West-Berliner Szene. „Unsere Kunden waren Menschen, die nach Alternativen suchten“, erinnert sich Leib, „politisch wie auch in ihrer Ernährung.“ Die Alternativen waren zunächst nicht sehr vielfältig: Es gab Getreide aus biologischem Anbau und zum Süßen wurde Honig verwendet, aber das war auch schon alles. Sobald eine weitere Zutat auch als Bioprodukt zu haben war, verwendeten die Biobäcker sie. Es wurde viel experimentiert, und einige Ergebnisse sind heute Normalität. Weil Vollkornteig weicher ist, buken die Kollektivbäcker Biobrote in Kastenformen. Und auch die Samen und Körner auf den Broten sind eine Errungeschaft der Bio-Experimente.

Damals wie heute – Leib ist nie ganz zufrieden mit seinem Backwerk. „Man muss ständig am Teig arbeiten“, sagt er. Nervt er mit diesem Perfektionismus nicht seine Mitarbeiter? „Ich nerve sie nicht genug. Ich kann sie nur selten motivieren, 100 Prozent zu geben.“ Auch sei es schwer, gute Bäcker zu finden, die andere leiten können. „Einer muss den Hut aufhaben.“

Das zeigte sich auch nach zwei Jahren Bäckerkollektiv: Es wurde um Kleinigkeiten gestritten, und Leib wollte mehr, als nach getaner Arbeit auf der Wiese liegen. „Es ging gar nicht um Geld oder darum, Unternehmer zu werden“, ist er überzeugt. „Es war eher so …“, lange Pause, „… persönlicher Ehrgeiz.“

Also machte er in der Nassauischen Straße das Backhaus auf. Das Prinzip „Jeder macht alles“ blieb zunächst, aber mit der Kapitalismuskritik war Schluss. „Wenn man selbstständig sein will, braucht man Kapital, um zu investieren.“ Punkt. Mitte der 80er-Jahre eröffnete die erste Filiale. Der Umzug nach Falkensee kam 1996, als es in der Nassauischen Straße zu eng wurde.

In der Falkenseer Bäckerei lassen sich die Öfen programmieren wie Waschmaschinen. Am Nachmittag steht nur ein Bäckermeister ein wenig verloren an einem Tisch und wickelt mit geübter Hand Croissants. Leib wippt auf den Zehenspitzen. In der Nacht wird die Backstube brummen, um die 15 Bäcker sind dann gleichzeitig am Werk. „Es gibt kein gesundes Brot mit gesunden Arbeitszeiten.“

Innerhalb der letzten zehn Jahre hat Lieb vier weitere Filialen gegründet, das Backhaus beliefert zudem zahlreiche Bioläden. Leib geht nicht mehr auf Demos und liest auch nicht mehr die taz, aber „das Handeln ist politisch“. Er bäckt sein Brot immer noch für eine bessere Welt.

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