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„In China ein Fremdwort“

Der Pekinger Künstler Wu Wenguang ist Kurator einer China-Reihe im Hamburger Kampnagelund zeigt drei Wochen lang Tanztheater, Video und Fotografie aus dem chinesischen Underground

von GEORG BLUME

taz: Herr Wu, wir sitzen hier in der Pekinger Altstadt. Unweit hat gerade der Avantgardekünstler Fang Lijun eine pompöse Luxusbar eröffnet. Ist das der neue Szenetrend: Kommerzialisierung statt Kritik?

Wu Wenguang: Diese Tendenz ist sehr stark. In China ist die Kunst heute bereits sehr stark kommerzialisiert. Das liegt am Naturell der Menschheit, zu der die Sucht nach Geld gehört. Früher wurde diese Sucht in China unterdrückt, bis hin zur Vernichtung der Menschen. Jetzt ist sie überall wieder da.

Profitieren auch Sie davon?

Als Filmemacher gehörte ich schon Anfang der 80er-Jahre zur ersten experimentellen Kunstszene Pekings. Viele aus der Szene sind inzwischen berühmt geworden und haben sich dem Mainstream angeschlossen.

Ich versuche dagegen, dem Pioniergeist von damals treu zu bleiben. So entstand Mitte der 90er-Jahre unser Tanztheater. Wir wollen uns damit von der Kommerzialisierung abgrenzen und stattdessen eigene Wunschbilder und Lebensweisen zeigen. Wobei wir uns keine Illusionen über unseren gesellschaftlichen Einfluss machen.

Welche ist die Lebensweise, die Sie bevorzugen?

Ich lebe seit langem ganz auf eigenen Füßen, ohne sozialistische Einheit. Ich tue nur das, was mich interessiert und brauche niemandem zu gehorchen. Das mag banal klingen, aber in China hat experimentelle Kunst keine Tradition. Vor allem ihr Protestgeist ist hier schwer zu vermitteln.

Nehmen wir die chinesische Rockmusik als Beispiel: In den 80er-Jahren war Rockmusik in China sehr populär. Aber der Protest, den die Musik transportierte, bestand nur aus Emotion und Leidenschaft. Als die Musiker dann älter wurden, wurde ihre Musik uninteressant und passte sich den kommerziellen Anforderungen an. Genauso verhält es bei vielen Filmemachern und Künstlern. Im Westen hat der Protest dagegen breite Wurzeln. Pina Bausch hat noch mit 60 tolle Werke geschaffen.

Was fasziniert Sie so an ihr?

Ihr Werk ist für mich gleichbedeutend mit einer Revolution der Kunstsprache, wobei sie mich mehr geistig als technisch beeinflusst hat. Pina Bausch hat viel persönliche Erfahrung in ihre Stücke eingebracht, etwa die Trauer um ihren Mann. Wir versuchen auch, unsere persönlichen Erfahrungen, vor allem aber unsere Einstellungen zur heutigen chinesischen Gesellschaft in unsere Stücke einzuflechten. Dabei geht es in unseren Hamburger Aufführungen hauptsächlich um die Rolle der Frau. In „report on birth“ dokumentieren wir Geburtserfahrungen chinesischer Mütter. In „report on body“ zeigen wir dann die Geschichte einer junge Wanderarbeiterin aus Sichuan, die in Peking nach einem neuen Leben sucht. Sie wird als Kindermädchen, Friseuse und Angestellte eines Nachtklubs ausgebeutet.

Die Männer, die ihr begegnen, sind Verführer und Unterdrücker, während die anderen Frauen im Stück wie Schaufensterpuppen wirken. Meine Stücke sind eben zuallererst kritisch.

Sind Sie darum in China so selten zu sehen?

Von Zensur kann keine Rede sein. Die experimentelle Kunst bekommt in China zwar keine staatliche Unterstützung, aber sie ist nicht verboten. Auch wäre die Behauptung falsch, dass wir ohne ausländische Unterstützung nicht überleben könnten. Eigentlich kann das chinesische Publikum meine Stücke sogar besser verstehen. Aber für die meisten Chinesen ist Tanztheater noch ein Fremdwort, und die Medien berichten kaum darüber. Auch gibt es keine privaten Stiftungen, die unsere Aufführungen unterstützen. Also gehen wir fast jedes Jahr auf Auslandstournee. Dabei finde ich es sehr schade, dass meine Stücke dort mehr als im Inland gezeigt werden.

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