: Der Tag gehört dir schon am Morgen
Mit ihrem Schwarzweißfilm „Westend“ retten Markus Mischkowski und Kai-Maria Steinkühler die deutsche Komödie vor der Totalverblödung
Walter Riester wäre stolz auf diese Langzeitarbeitslosen. „Wir haben uns auf Aushilfsarbeiten spezialisiert“, sagen Mike und Alfred bei ihrem Bewerbungsgespräch. Für solche Experten ist die Ich-AG ausgebrütet worden.
Den Personalchef überzeugt das allerdings wenig; also wieder raus auf die Straße, zurück in die Stammkneipe. Ralf Richter ist schon da, natürlich hackevoll. Ihr Kumpel Rasto auch. Rasto hat sich ebenfalls ein flottes Ich-AG-Motto ausgedacht: „Nicht arbeiten. Arbeiten lassen, das ist ja meine Devise.“ Das Hartz-Konzept hat er verinnerlicht. Er trägt Anzüge von der Stange, ist jung, ambitioniert und beherrscht den Arbeitsmarkt-Sprech aus dem Effeff: „Produktmanagement, Außendienst, Immobilien, Konsumartikel, was halt so anfällt.“ Gerade verscherbelt er Filofaxe aus dem Kofferraum seines alten Ford Taunus. „So was braucht der Mann von Welt schon.“ Die Verlockungen des freien Marktes, nie waren sie so wertvoll wie heute.
„Westend“, der Debütfilm von Markus Mischkowski und Kai-Maria Steinkühler, ist bevölkert von diesen gescheiterten Existenzen der freien Marktwirtschaft. Man muss sie einfach mögen. Sie stehen ungelenk in der Gegend herum und glotzen in ihr Bier. Der Tag gehört ihnen schon frühmorgens, und ihr Weg führt sie direkt in die Stammkneipe. Stellenanzeigen studieren. Man fragt sich, warum der deutsche Film nicht öfter solche Typen hervorbringt. Mike und Alfred, mit Muskelshirt, Trainingshose und Heavy-Metal-Frisuren, sind wahre Prolo-Existenzialisten. Unbezahlbar.
Es gab mal eine Zeit, da waren solche Verlierer im deutschen Kino ganz groß: der junge Marius Müller-Westernhagen in „Theo gegen den Rest der Welt“ zum Beispiel. Oder die Mechaniker aus Dominik Grafs „Treffer“. Aber mehr noch gleicht das Köln aus „Westend“ – entlegene Stadtrandbezirke, verlassene Industriegebiete, großstädtische Speckgürtel – dem Ruhrpott Adolf Winkelmanns. „Die Abfahrer“ hieß einer seiner Filme. Das Motto eines anderen lautete: „Es kommt der Tag, da will die Säge sägen.“ Das klang damals – Anfang der Achtziger – schon etwas nach „Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt“. So weit ist es in „Westend“ noch nicht.
Trotzdem sind Mike und Alfred stolze Brüder im Geiste dieser Spezies der Unterprivilegierten. Den Anforderungen des Arbeitsmarktes trotzen sie mit stoischem Gleichmut. Viel passiert daher in „Westend“ nicht. Wie schon in Ulrich Köhlers „Bungalow“ wird die Zeit mit Warten totgeschlagen. Bis Rasto „eine Immobilie an der Hand“ hat; „sichere Sache“, sagt er. Die Immobilie stellt sich als alte Imbissbude heraus, die mitten im Nirgendwo vor sich hin rottet. Aber immerhin fällt ein Job für Mike und Alfred ab; zehn Mark die Stunde plus Dienstfahrzeug: zwei Mopeds. Da stimmt die Motivation plötzlich. Zumindest am Anfang.
Mischkowski und Steinkühler haben mit Fördergeldern von 700.000 Mark die deutsche Komödie vor der Totalverblödung gerettet. Das Geheimnis ihres seltenen Humors liegt in der Begriffsstutzigkeit der Figuren. Der Witz stellt sich hier erst mit Verzögerung ein, es entsteht eine leichte Phasenverschiebung zwischen Dialog und Pointe.
Was „Westend“ so unwiderstehlich macht, sind die realistischen, scharf kontrastierten Schwarzweißbilder, die an den frühen Jarmusch erinnern. Die Gesichter der Figuren scheinen in ihrer Ausdruckslosigkeit eine Erweiterung der kargen Landschaft. „Westend“ ist nach „Klassenfahrt“ und „Bungalow“ der dritte Erstlingsfilm aus dem hervorragenden 2001er-Jahrgang, der jetzt in die deutschen Kinos kommt. Besser wird's erst mal nicht werden. ANDREAS BUSCHE
„Westend“. Regie: Markus Mischkowski u. Kai-Maria Steinkühler. Mit Jens Claassen, Markus Mischkowski, Kai-Maria Steinkühler u. a. Deutschland 2001, 89 Min.
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