Letzte Reise in die Heimat

Türkische Beerdigungsinstitute sind in Köln nicht nur die Antwort auf veränderte Lebensrealitäten, sondern längst auch ein Wirtschaftszweig

Von CILER FIRTINA

Sie bieten 24-stündigen Service, Abholung überall in Deutschland, die Erledigung sämtlicher Formalitäten und die Überführung in die Türkei innerhalb eines Tages: Türkische Beerdigungsinstitute sind nicht nur die Antwort auf veränderte Lebensrealitäten, sondern inzwischen auch ein Wirtschaftszweig. Sie entstanden, nachdem Gastarbeiter zu Arbeitsmigranten geworden waren. Auch Necati Tank aus Köln-Porz hat die Dienste eines türkischen Beerdigungsinstitutes in Anspruch genommen: für seinen Vater Kemal.

Kemal Tank kam 1964 als Gastarbeiter nach Deutschland. Allein. So wie viele andere aus seinem Dorf wollte er nicht lange bleiben, deshalb ließ er Frau und Kinder zurück. So bald wie möglich wollte er zurückkehren, im Kreise der Familie den Lebensabend verbringen.

Stattdessen holte Kemal Tank 1973 Frau und Kinder nach Deutschland. Er arbeitete bei der Firma Vegla in Köln, seine Kinder wuchsen hier auf und gründeten ihre eigenen Familien. Schließlich ging Kemal Tank in Rente, 2004 erlitt er im Alter von 73 Jahren einen Schlaganfall. Nach kurzer Zeit im Wachkoma starb er in einem Kölner Krankenhaus.

„Die Wurzeln sind dort“

Familie Tank stammt aus dem Dorf Balibey bei Erzincan im Osten der Türkei. Für Necati Tank, der selbst zwei erwachsene Kinder hat, war es ganz selbstverständlich, den Leichnam des Vaters in sein Heimatdorf zu überführen. „Viele aus unserem Dorf sind damals wie mein Vater als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen“, erzählt er. „Sie leben verstreut im ganzen Bundesgebiet. Doch kaum einer aus unserem Dorf wurde bisher in Deutschland beerdigt.“

Die kurdische Familie beauftragte auf Empfehlung von Bekannten ein alevitisches Bestattungsinstitut. „Das hat die Formalitäten bei den Behörden und im Konsulat erledigt. Sie hat den Leichnam meines Vaters vom Krankenhaus zur Leichenwäsche in ein deutsches Beerdigungsinstitut in Bergisch Gladbach transportiert“, berichtet Necati Tank. Nach der religiösen Zeremonie im Saal des dortigen Beerdigungsunternehmens begann die Reise in die Heimat.

Vom Köln/Bonner Flughafen wurde der Sarg über Istanbul nach Ankara befördert. „In Ankara haben wir den Sarg übernommen und sind nach Erzincan geflogen. Von Erzincan in unser Dorf Balibey haben wir die Beförderung mit einem Auto selbst organisiert“, erinnert er sich. „Die Särge hier sind größer und höher. In die türkischen Leichenwagen passen sie nicht rein.“

Die Beisetzung des Vaters im Heimatdorf hatte keine primär religiösen Gründe, wie es der Sargzwang, an dem man – anders als etwa in Aachen oder Essen – im katholischen Köln für Muslime nach wie vor festhält, nahe legen könnte. „Es ist das Bedürfnis, in die Heimat zurückzukehren. Ganz gleich, wie lange wir auch hier leben – unsere Heimat und unsere Wurzeln sind dort.“ Dabei denkt Necati Tank auch an seine Kinder. „Die Generation, die hier geboren und aufgewachsen ist, soll die Bindung an die Heimat nicht ganz verlieren. Sie soll einen Grund haben, zu den Wurzeln zurückzukehren. Und sei es, um das Grab des Vaters oder Großvaters zu besuchen.“

Die Dienste deutscher Institute werden heute von Muslimen kaum noch in Anspruch genommen. „Früher, bevor es die türkischen Kollegen gab, wurden deutsche Firmen öfter eingesetzt. Wir haben damals alles abgewickelt, auch die Überführung“, erinnert sich Lutz Lunebach. „Heute werden wir von den türkischen Bürgern nur in Notfällen gerufen“, erklärt der Kölner Bestattungsunternehmer.

Beerdigungshilfefonds

Die Dienste des türkischen Beerdigungsinstitutes haben Necati Tank von der Übernahme des Leichnams im Krankenhaus bis zum Flug nach Ankara insgesamt rund 2.500 Euro gekostet. Eine Dienstleistung, die für viele unerschwinglich ist. Um die Erfüllung des letzten Willens eines verstorbenen Angehörigen nicht an den hohen Kosten scheitern zu lassen, hat die Organisation DITIB (Organisation für religiöse Angelegenheiten Türkisch Islamische Union) im Jahr 1992 einen Beerdigungshilfefonds gegründet. Jährlich 60 Euro beträgt der Mitgliedsbeitrag, er begünstigt auch den Ehepartner des Mitglieds sowie unverheiratete Kinder unter 18 Jahren.

Bei Serdar Demir, einem Mitarbeiter der Beerdigungshilfe in der Kölner DITIB-Zentrale, läutet ständig das Telefon. „Der Beerdigungshilfefonds übernimmt sämtliche Dienste wie etwa die seelsorgerische Betreuung in Todesfällen, die Leichenwäsche, das Totengebet, die Überführung und die Beerdigung am Heimatort“, sagt Demir. „Bei der Überführung arbeiten wir mit türkischen Beerdigungsfirmen zusammen. Falls eine Beerdigung in Deutschland gewünscht wird, übernimmt die Beerdigungshilfe Bestattung und Pflege von muslimischen Gräbern auf deutschen Friedhöfen.“ Allerdings sei die Nachfrage nach einer Beerdigung in Deutschland gering. Demirs Schätzungen zufolge würden nur fünf Prozent der ursprünglich aus der Türkei stammenden Verstorbenen in Deutschland beerdigt.

„Es schreckt viele Muslime auch ab, dass in Deutschland das Grab nur auf Zeit vermietet wird und somit die Ruhestätte nicht für die Ewigkeit ist“, sagt Demir. „Auch die Bestattung im Sarg statt im Leichentuch spielt eine Rolle. Doch oft ist es auch die Bindung der ersten Generation an die Heimat. Dort leben die Verwandten, ist das Familiengrab.“

Die Diskussion um den Sargzwang, wie sie in Köln geführt wurde, hält Serdar Demir für unnötig. „Die Zahl muslimischer Beerdigungen in Essen oder Aachen, wo die Bestattung im Leichentuch ohne Sarg möglich ist, ist nicht wesentlich gestiegen.“