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Exzentrische Bahnen

Thalia-Autorentheatertage widmen sich Beziehungen und ihren nimmermüden Wiederholbarkeiten

von Petra Schellen

Was ist eigentlich Mut, wie definiert sich Erwachsensein? Ein Thema, das die Gazetten schon vorm Sommerloch akribisch buchstabierten, plötzlich einen ewig pubertierenden Typus Mensch ortend, als habe es den zuvor nicht gegeben. Nur, dass die Betreffenden sich jetzt eben offen zeigen. Kein Kunststück in Zeiten, in denen 40-Jährige noch als „Jungtalent“ firmieren. Und so wird munter mal das Pubertieren, mal das Erwachsenwerden mutig genannt, ohne dass man sich entschiede: Ist mutig, ist gereift und erwachsen, wer nicht mehr mit Phantasie im Kopf durch die Landschaft wandelt, sondern akribisch sein Ableben organisiert, wie es die Protagonistin von Lukas Bärfuss‘ „Alices Reise in die Schweiz“ tut – ein Gastspiel des Theaters Basel, das am Sonnabend die diesjährigen Autorentheatertage des Thalia Theaters eröffnet?

Dem Thema „Beziehungen“ hat sich das fünfte Festival seiner Art verschrieben; explizit verspielte Texte zum Thema Liebe hatte Jurorin Simone Meier eingefordert. Und da sind sie also, jene zwei, die sich in Reto Fingers Schwimmen wie Hunde erwachsen trennen wollen – eine Forderung, die fast schon utopisch klingt. Und tatsächlich: Die Frau beginnt sehr wohl ein altneues Leben mit ausgewechseltem Personal; der Mann dagegen beginnt wie eine untergründige Schlingpflanze im Keller zu vegetieren, als erwarte er, dass von selbst wieder Licht auf ihn fiele.

Aber ist es eigentlich gelungen, das durch Personalwechsel runderneuerte Leben? Kommen einem nicht auch solche – oft durch Ermüdung verursachte – Wechsel so bekannt vor? Der Protagonist von Lothar Kittsteins In einer mondhellen Winternacht jedenfalls hat sie schon oft erlebt, die Verpaarung auf nächtlichem Felde, vielleicht war‘s echt, vielleicht war‘s Traum, was bedeutet das letztlich schon ... Und auch Lukas Holliger zementiert die These von der Reigenhaftigkeit des Beziehungslebens: Explodierende Pottwale heißt sein Stück, in dem die Familie ins Haus der Urgroßeltern zieht, um dort allerlei ehebedrohende Rivalen vorzufinden.

Kein Raum also für Neuerung, keine Chance auf Ausstieg aus dem Beziehungskarussell; Roland Schimmelpfennigs Die Frau von früher bestätigt süffisant, was die Jungautoren vermuten: dass Einbruch von Vergangenheit in Gegenwart jederzeit möglich ist, dass es keine vorgezeichneten Wege gibt – und dass die vermeintliche Lösung nur mäßig viel verspricht: Denn wieviel Mut kostet es zu gehen oder zu bleiben; worin bestünde wirklich die Überwindung der alten psychologischen Muster, unter denen die Flucht doch eins der beliebtesten ist? Fragen, auf die auch Anja Hillings Großstadt-Momentaufnahmen namens Protection keine Antwort geben: Die Ahnung des Verfalls atmen diese kurzen Stücke, die sich schon qua Genre nicht entscheiden, ob das, was sie zeigen, kommt oder geht.

Die Autorentheatertage am Thalia beginnen am 4. 6. um 19.30 Uhr mit Lukas Bärfuss‘ „Alices Reise in die Schweiz“ und enden am 17.6. um 19 Uhr mit der Langen Nacht der Autoren

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