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Neue Energie für Boliviens Opposition

Die Opposition blockiert das Regierungsgebäude. Damit verhindert sie eine Parlamentsentscheidung über ein Referendum zu mehr Autonomie der reichen Provinzen. Die armen Bevölkerungsschichten fordern die Verstaatlichung der Energiereserven

VON INGO MALCHER

Zum Parlament war kein Durchkommen. Zehntausende Demonstranten blockierten am Dienstag mehrere Stunden lang den bolivianischen Regierungssitz in La Paz und forderten in Sprechchören die Verstaatlichung des Energiesektors des Landes. Vereinzelt kam es zu Scharmützeln mit der Polizei. Die Demonstration war die größte seit Amtsantritt von Präsident Carlos Mesa im Jahr 2003 und leitete die dritte Woche von Protesten gegen die von ihm angeführte Regierung ein.

Mesa steht in Bolivien unter dem Druck von mehreren Seiten. Die Reichen Provinzen im Osten des Landes fordern ein Referendum über mehr Autonomie. Die armen Bevölkerungsschichten der Indigenas, Campesinos und Gewerkschafter fordern von Mesa die Verstaatlichung der Energiereserven des Landes und lehnen die Autonomiebestrebungen der besser Verdienenden ab. Streiks, Straßenblockaden und Demonstrationen haben das Land gelähmt. Der Präsident der wichtigsten Unternehmervereinigung, der Konföderation der privaten Unternehmer Boliviens, Roberto Mustafa, forderte daher Neuwahlen.

Derart in die Enge getrieben, ging Mesa am Montag in die Offensive: „Es kommen unruhige Stunden auf uns zu.“ Der Präsident behauptete, „eine radikale Minderheit“ plane einen „Putsch“ gegen seine Regierung. Die Blockadeaktion geißelte er als undemokratisch.

Vor wenigen Wochen verabschiedete der Kongress ein Gesetz, wonach den transnationalen Konzernen für die Ausbeutung der Erdgas- und Erdölschätze 18 Prozent an Abgaben und 32 Prozent an Gewinnsteuern abgenommen werden. Linken Oppositionellen wie dem Chef der Bewegung für den Sozialismus (MAS), Evo Morales, geht dies nicht weit genug. Er will, dass die Konzerne die Hälfte ihrer Gewinne abliefern, ohne bei der Steuer tricksen zu können. Dann könnten auch alle von den Bodenschätzen profitieren.

Bolivien hat die größten Erdgasvorkommen in Südamerika, privatisierte jedoch seine Energiefirmen in der vergangenen Dekade. Der Export von Erdgas, der den Konzernen gerade in Zeiten hoher Preise satte Gewinne einbringt, wird von vielen Bolivianern inzwischen als Provokation gesehen. Nur 7,5 Prozent der Bevölkerung haben einen Gasanschluss in ihrem Haushalt, der Rest muss Gasflaschen kaufen, weiß aber oft nicht, wovon. Sechs von zehn Bolivianern verdienen weniger als zwei US-Dollar am Tag. Und das Gas in Flaschen ist im Verhältnis zu den Löhnen alles andere als preiswert. Nicht selten führen die Pipelines direkt an den Armenvierteln vorbei.

Es sind diese Verhältnisse, die die Stimmung zum Explodieren gebracht haben. Wegen der Straßenblockaden in La Paz war das Parlament am Dienstag nicht beschlussfähig. Auf der Tagesordnung stand die Abstimmung über das Autonomie-Referendum für die im Osten des Landes gelegenen Provinzen. Dort liegt die ökonomische Hauptstadt Santa Cruz, dort befinden sich auch die Erdgasvorkommen des Landes. Die Demonstranten fordern eine verfassunggebende Versammlung, „um Bolivien neu zu gründen“, wie sie sagen.

Um die politische Pattsituation in Bolivien aufzulösen, hat Evo Morales vorgeschlagen, das Autonomiereferendum und die Wahl zur verfassunggebenden Versammlung am selben Tag abzuhalten. Unklar ist bis dahin jedoch die politische Zukunft von Carlos Mesa. Teile der linken Opposition fordern seinen Rücktritt. Andere sehen ihn lieber im Amt, weil ein Rücktritt nichts an der politischen Verfassung des Landes ändern würde. Morales und seine Mitstreiter sind sich in einem einig: Es braucht eine neue Politik, keine neuen Verwalter.

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