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Nennt es einfach Demokratie

Junge Frauen in Deutschland wollen keinesfalls in die feministische Schwitzhütte zurück. Richtig so. Doch mit der alten Selbstfindung in Frauenräumen ging auch die Fähigkeit verloren, politische Interessen von Frauen zu bündeln. Egofeminismus allein hilft nicht weiter. Politik ohne Pathos ist gefragt

VON HEIDE OESTREICH

Angela Merkel ist Mitglied in einem hoch exklusiven Club. 12 von 122 gewählten Staatschefs weltweit sind weiblich. Die Zeitschrift Emma eruierte kürzlich, dass es in diesem Club sogar fünf Frauen gibt, die sich „Bekennende Feministin“ nennen. Die Staatschefin etwa von Neuseeland, Helen Clark, oder Michelle Bachelet, Präsidentin Chiles. Angela Merkel ist nicht dabei.

Sich zum Feminismus zu bekennen, erfordert offenbar Mut. Diesen Mut bringen Micheline Calmy-Rey in der Schweiz auf, die finnische Präsidentin Tarja Halonen, und auch Han Myung-Sook, Premierministerin von Südkorea. Angela Merkel hat sich die Stimmungslage in ihrem Land angesehen und zieht vor, sich nicht zu bekennen.

Niemand nimmt es ihr übel. Feminismus hat in Deutschland einen sagenhaft schlechten Ruf. Opferfeminismus, Kaftan-Feminismus, ohne ein Abgrenzungsritual kann man über Gleichberechtigung kaum reden. Dennoch: Der Ton hat sich geändert.

Die Girlies, die einst schlicht behaupteten: „Chicks rule!“, sind mittlerweile 30 und kriegen doch nicht alles geregelt. Plötzlich steht der Studienkollege als Chef vor ihnen. Der Partner kann sich in seinem Job „einfach nicht leisten“, Kinder zu hüten. Die einzige Kinderkrippe im Umkreis von 100 Kilometern bietet ihnen den 95. Platz auf der Warteliste an, aber nur, falls sie alleinerziehend sind. Diese Generation hat einige Zeit gebraucht, aber jetzt wacht sie auf.

Ja, Deutschland hat wieder besonders lange gebraucht. Es ist ohnehin eines der unemanzipiertesten Länder in Europa. Das belegen nicht nur Statistiken, sondern auch die Thesen, die das Land gerade für debattenwürdig hält: Kinderlose Karrierefrauen sind am Aussterben der Deutschen schuld. Kinder, die in Krippen gehen, werden später neurotisch. Männer wollen auf keinen Fall Kinder wickeln.

Nun reiben sich die jungen Frauen (und auch manche Männer) die Augen. Sie dachten doch, sie wären schon gleichberechtigt. Auch die Frauenbewegung bekommt ihr Fett weg. Warum steht ihr nur da und klagt? Wenigstens die Sache mit den Krippenplätzen hättet ihr inzwischen mal klarmachen können.

Man muss wohl die reaktionäre Grundstimmung in Deutschland immer mitdenken, wenn man sich fragt, warum Feminismus hierzulande so besonders abgemeldet ist. Warum der viel geschmähte „Siebzigerjahre-Feminismus“ sich nur in den akademischen Gärten der Genderstudies fortentwickelte, deren Erkenntnisse aber von jungen Frauen ignoriert werden. Warum diese, wenn sie den Feminismus als spaßfrei, verkniffen und unsouverän erlebt haben, nicht einfach einen lustigen, lockeren und souveränen Feminismus entwickelt haben.

Andere Länder waren schneller, viel schneller. In vielen Ländern spricht man inzwischen vom Third Wave Feminism, während die Deutschen offenbar noch nicht mal die zweite Welle verdaut haben, die Frauenbewegung der Siebziger. In Schweden nennen sich vier männliche Kabinettsmitglieder selbst „Feministen“, in den USA hat Naomi Wolf bereits 1993 in „Die Stärke der Frauen“ dem „Powerfeminismus“ das Wort geredet, Natasha Walter zog in Großbritannien 1998 mit „The new Feminism“ nach. Sie diffamieren den „Opferfeminimus“ der Siebziger nicht, sie historisieren ihn und definieren die neuen Aufgaben für Frauen heute. Die Deutschen, sie sind wieder etwas langsamer.

„Ich muss jetzt wohl Feministin sein“, sagt die Autorin Thea Dorn, die feministisch sensible Frauen lieber zur „F-Klasse“ promoviert. Dieses „muss wohl“ ist plötzlich allenthalben zu hören. „Neuen Feminismus“ fordert hier Die Zeit. Dort schreibt mit Silvana Koch-Mehrin sogar eine FDP-Frau ein Büchlein namens „Schwestern“: eine „Streitschrift für einen neuen Feminismus“. Umfängliche Antworten auf die Ex-„Tagesschau“-Sprecherin Eva Herman, die das Leitmodell Hausfrau beschwor, bescheren Verlagen gute Auflagen. Die wenigsten aber sind so ehrlich wie die Journalistin Heike Faller, die sich fragt: „Haben wir die Emanzipation verspielt?“ Die meisten anderen meinen nicht, dass man selbst naiv war und einen Fehler machte. Sondern dass der alte Feminismus sich leider so unattraktiv präsentiert hat, dass man den ja nun auf gar keinen Fall wollen konnte. Mit Verlaub, Ladys: Das ist in Teilen verständlich, aber es ist auch eine unreflektierte Form von Verrat.

Worüber kann man sich nicht alles lustig machen: Frauenkneipen, Frauenreisen, FrauenLesbengruppen, dieses ganze Exklusionsprogramm, mit dem engagierte Frauen sich aus dem Mainstream verabschiedeten. Ja, heute kann man alle Bücher bei Amazon bestellen und in normale Kneipen gehen. In den Seventies war es eben nicht so. Da gab es in normalen Buchläden keine Frauenliteratur. Da wurden Frauen, die allein in Kneipen gingen, permanent dumm angebaggert. Da brauchte man andere Frauen, um sich klar zu werden, dass man nicht allein ist mit einem Macker zu Haus, der meint, er habe ein gottgegebenes Recht auf dreiminütigen Beischlaf ohne Vorspiel.

In all dem Gemecker über die Emanzen von einst gehen die politischen Erfolge der Frauenbewegung merkwürdig unter. Es gab nicht nur den Rückzug. Es gab auch den Schlachtruf „Das Private ist politisch“. Frauen entdeckten in ihren „Frauenräumen“ ihre gemeinsamen Interessen. Und die vertraten sie politisch. Abtreibung, Lohngleichheit, Gleichstellung im Beruf, diese Frauen waren schlicht kampagnenfähig.

Heute sind Rückzugsgebiete für Frauen kaum mehr nötig: Feministische Untersuchungen über den Umgang mit Frauenkörpern (aktuelles Beispiel: Magersucht) liegen bei Karstadt auf dem Grabbeltisch. Es gibt Lehrstühle und Forschungsstellen für Frauengesundheit. Mädchen werden alle naslang irgendwo gefördert. Rhetorikkurse für Frauen sind ebenso Mainstream wie Ratgeber über „die gelassene Art, sich durchzusetzen“. Gut so.

Man könnte sagen: Feminismus ist Mainstream geworden. Es gibt eigentlich keinen Grund, sich von ihm abzusetzen. Jede junge Frau heute will, was die Feministinnen in den Siebzigern forderten: eine gleichberechtigte Partnerschaft, gleiche Chancen im Beruf. Sie sind so gesehen alle Feministinnen, „Feministinnen après la lettre“, wie die Journalistin Susanne Weingarten einst schrieb. Feministinnen ohne Feminismus.

So beerdigen sie nebenbei den Feminismus als Identitätsprojekt und als Großtheorie. Doch der hat sich ohnehin überlebt. Ähnlich wie sich das linke Subjekt in den Seventies seiner allumfassenden Unterdrückung im Kapitalismus bewusst wurde, wurde sich das weibliche Subjekt der allumfassenden Männerherrschaft bewusst – beziehungsweise seiner doppelten Unterdrückung im kapitalistischen Patriarchat. Es galt Adorno: „Es gibt kein wahres Leben im falschen.“ Kein Wunder, dass eine Devise „Rückzug in Frauenräume“ hieß.

Dieser Universalansatz ist weg. Anders als den Kapitalismus kann man das Patriarchat nicht mehr als „stahlhartes Gehäuse“ begreifen. Frauen werden nicht mehr in starre Rollen gezwängt, Männer haben sich als der Verhandlungsmoral zugänglich erwiesen – jedenfalls einige. Verbesserungen wurden erreicht. Zugleich verlor das „Andere“ des Patriarchats, die heile Frauenwelt, an Glanz. Die Suche nach der Natur der Frau endete mit dem Spekulum in der Schwitzhütte – aber was macht man, wenn man wieder herauskommt aus der Schwitzhütte und auch die Klitoris bis in die letzte Verästelung ergründet ist? In der Theorie versetzte Judith Butler allen Identitätsprojekten den Todesstoß: Geschlecht ist nicht, was wir sind, sondern was wir tun. Solche Erkenntnisse sind natürlich weniger leicht politisierbar als das gute alte Identitätsprojekt.

Und nun trifft diese Theorielage auch noch auf junge Frauen, die das Politische der alten Frauenbewegung mal eben privat regeln wollen. Und da hakt es nun. Tausende privater Karrierestrategien, tausende privater Kinderbetreuungslösungen, das sind tausende Frauen, die zu spät merken, dass ihr Egofeminismus nicht ausgereicht hat, sie aus benachteiligenden Verhältnissen zu katapultieren. Zeit, wieder politisch zu werden.

Heute muss der Feminismus pragmatischer daherkommen. Das Ziel ist nicht mehr, die Frau emphatisch von ihren Fesseln zu befreien, sondern Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern zu leben. Es ist ein konkretes Ziel, das sich schnell mit Inhalten füllen lässt. Dazu gehört die gemeinsame Verantwortung für Kinder genauso wie der Abbau von Diskriminierungen im Berufsleben. Aber diese Benachteiligungen muss man tatsächlich wieder benennen. Es ist ein Ziel, das auch für Männer attraktiv ist, weil es auch ihnen erlaubt, ihre beknackt enge Rolle zu erweitern. Man muss nicht erst ein Glaubensbekenntnis ablegen und auch nicht in feministischen Schwitzhütten geläutert werden. Aber es gilt, das Private wieder politisch produktiv zu machen. Und so ist es zwar ein bisschen schade, aber kein Unglück, dass Angela Merkel sich nicht zum Feminismus bekennt. Hauptsache, sie kriegt die Sache mit der Kinderbetreuung geregelt. Es muss nicht mal Feminismus heißen, wenn der Begriff so wehtut. Demokratie reicht völlig aus.

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