: D O K U M E N T A T I O N „Sehr geehrter Herr Bundeskanzler“
■ Die ÖTV–Vorsitzende und Vizepräsidentin der Internationale der Öffentlichen Dienste, Monika Wulf–Matthies, an Bundeskanzler Kohl und Außenminister Genscher: „Handeln Sie jetzt!“
In der vergangenen Woche habe ich mich fünf Tage lang an der Spitze einer Delegation der Internationale der Öffentlichen Dienste (IOED) in Südafrika aufgehalten. Bei meiner Rückkehr mußte ich feststellen, daß, entgegen den bisher bekanntgewordenen Absprachen der EG–Außenminister, in der Bundesregierung nach wie vor starke Kräfte gegen die Verhängung von Wirtschaftssanktionen eintreten und sich auch die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft erneut gegen Sanktionen ausgesprochen haben. Diese Haltung der Bundesregierung hat mich sehr betroffen gemacht, weil mir bei meinen Gesprächen deutlich geworden ist, daß die Bundesrepublik Deutschland ihre Glaubwürdigkeit als freier, demokratischer Staat bei den demokratischen Kräften in Südafrika aufs Spiel setzt. (...) Ich habe kein Verständnis dafür gefunden, daß die Bundesrepublik eines der letzten Bollwerke der Regierung Botha in der westlichen Welt ist. (..) Wenn die Bundesregierung weiterhin Sanktionen ablehnt und möglicherweise verhindert, daß die EG zu einer entsprechenden Beschlußfassung kommt, isoliert sie sich damit nicht nur gegenüber der Mehrzahl der westlichen Demokratien. Sie wäre auch mitschuldig daran, daß die ökonomischen Folgen der Sanktionen anderer Länder für das Botha– Regime erträglicher würden und ihre moralische Wirkung erheblich abgeschwächt würde. Die Begründung, daß Wirtschaftssanktionen in erster Linie die Schwarzen träfen, übersieht das ungeheure Leid, das die schwarze Bevölkerung durch Willkürmaßnahmen aufgrund des Ausnahmezustandes und der Sicherheitsgesetze erduldet. Sie geht außerdem von der irrigen Annahme aus, daß Wirtschaftssanktionen die Regierung Botha und die sie stützenden Kreise nicht beeindruckten. Beides Behauptungen, die von der Propagandamaschinerie der südafrikanischen Regierung geschickt ausgestreut werden, aber in Wahrheit keinesfalls stichhaltig sind. Von allen Vertretern der südafrikanischen Gewerkschaften, von allen Vertretern der weißen Bürgerrechts– und Anti–Apartheid– Bewegung und den von namhaftesten Vertretern der Kirchen wurde die Meinung vertreten, daß wirkungsvolle Sanktionen das einzige Mittel sei, das Leiden der schwarzen Bevölkerung zu verkürzen, noch mehr Blutvergießen zu verhindern und die Regierung Botha zu zwingen, endlich mit den demokratischen Kräften in Südafrika zu verhandeln. In sehr eindrucksvoller Weise wurde dies auch von Herrn Dr. Wolfram Kistner, dem Leiter der Abteilung Gerechtigkeit und Versöhnung beim südafrikanischen Kirchenrat, dargelegt, der als Weißer zu denen gehört, die die Willkür des Botha–Regimes am eigenen Leib durch Verhaftung im Rahmen des Ausnahmezustandes zu spüren bekamen, der durch den Einsatz der Bundesregierung zwar freigelassen wurde, aber immer noch Sicherheitsauflagen unterliegt. Ich bitte Sie dringend darum, keine Entscheidung gegen Sanktionen zu treffen.(...) Ich richte die dringende Bitte an Sie: Handeln Sie jetzt. Die gegenwärtige Lage muß jeden mit tiefer Sorge um die weitere Entwicklung erfüllen. Die Polarisierung nimmt zu, militante Kräfte auf beiden Seiten werden die Oberhand gewinnen, wenn nicht bald etwas geschieht. Die Folge wäre noch mehr Gewalt und weiteres Blutvergießen. Die Bundesregierung darf sich nicht mitschuldig machen. Im Namen der Millionen schwarzer Arbeiter, die ihre Stimme nicht erheben dürfen, die unterdrückt und verfolgt werden, im Namen der Tausenden von unschuldigen Kindern, die ohne Grund verhaftet und gequält werden, fordere ich Sie auf, ein Zeichen zu setzen im Kampf gegen das Apartheid–Regime. mit freundlichen Grüßen Dr. Monika Wulf– Matthies
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