: I N T E R V I E W Kriegsdienstverweigerer: Schädlich für Polens Interessen
■ Interview über polnische Knäste mit drei Mitgliedern von „Frieden und Freiheit“ / Piotr Niemczyk und Jaczek Czaputowicz wurden wegen Kriegsdienstverweigerung sieben Monate lang gefangen gehalten, Marek Adamkiewicz 22 Monate wegen Verweigerung des Eids der Rekruten
taz: Warum hast du damals den Eid verweigert? Marek: Ich habe den Eid verweigert, weil der Text des Eides im Widerspruch zu meiner politischen Meinung steht, im besonderen die zwei Absätze des Eides, die Treue zur eigenen Regierung und Treue zur Sowjetunion verlangen. Im Jahre 1984 hat das höchste militärische Gericht ein Urteil gefällt, das als Präzedenzfall gilt. Dort wurde die Verweigerung des Eides gleichgestellt mit der Verweigerung des Wehrdienstes. Das bedeutet, daß es sich nach Art. 305 (Wehrpflichtverweigerung) um ein Verbrechen handelt, wenn man den Eid nicht schwört. Ich war nicht in einem Untersuchungsgefängnis, sondern in einer richtigen Strafanstalt, in Stettin. In dieser Anstalt sitzen ein Drittel bis zur Hälfte Leute, die sogenannte Militärverbrechen begangen haben. Die meisten sind Deserteure. Die Armeeführung macht sogar Schauprozesse in den militärischen Einheiten, um dem vorzubeugen. Aber das hat praktisch wenig Erfolg, auch wenn die Urteile hoch sind. Im Durchschnitt bekommt man vier Jahre Haft. Die Anstalt in Stettin ist sehr typisch für Polen. Die Unterbringung und die sanitären Einrichtungen sind miserabel. In den Zellen ist es furchtbar eng. Der freie Raum pro Häftling beträgt gerade 0,6 qm. 14 Personen befinden sich in der Zelle, die Pritschen sind dreistöckig übereinander. Es gibt ständig Wassermangel und keine vernünftigen Toiletten. Weshalb wurdest du verhaftet? Piotr: Die Vorwürfe waren sehr unpräzise. Die Polizei hielt mich für einen der Hauptorganisatoren und Leiter der Bewegung „Freiheit und Frieden“. Sie waren aufgeregt, weil ich diejenigen Leute koordinierte, die entweder den Kriegsdienst oder das Schwören des Eides verweigert haben. Sie waren auch ziemlich nervös weil wir mit der Friedensbewegung im Westen zusammenarbeiteten. Meine Kontakte wurden als schädlich für die Interessen der Volksrepublik Polen eingestuft. Anfang Juni wurde die Zuständigkeit vom Strafgericht zum Militärgericht verlagert. Hatte das für Dich Auswirkungen? Am Anfang hatte ich einen vom Gericht be nannten Rechtsanwalt, der nach der Verlagerung unter dem Vorwand zurückgezogen wurde, er sei nicht berechtigt, vor dem Militärgericht aufzutreten. Bei dieser Veränderung haben wir zunächst gedacht, es sei eine gezielte Maßnahme, um einen großen Teil der politischen Gefangenen von der erwarteten Amnestie auszuschließen. Wie lange warst du im Gefängnis? Piotr: Ich war fast sieben Monate im Gefängnis in der Rakowieckastraße in Warschau im 3. Pavillon, ein Spezialbereich für die politischen Gefangenen und für bestimmte Wirtschaftsvergehen. Dieser Pavillion ist vom übrigen Gefängnis völlig getrennt und isoliert die Inhaftierten. Wir waren zu viert in einer Zelle untergebracht, aber die ganze Zeit sah ich niemand anderen als die übrigen drei. Man bekommt keine Zeitschriften, für Zeitungen benötigt man eine Sondererlaubnis der Staatsanwaltschaft, auch für die offiziellen Organe. Und wenn diese dann kommen, sind selbst die zensiert und wichtige Informationen ausgeschnitten, z.B. über die Pressekonferenz des Regierungssprechers. Mitglieder der Familie benötigen für einen Besuch eine Sondergenehmigung der Staatsanwaltschaft, die nur sehr schwierig zu erhalten ist. Auch ich habe die ganze Zeit über meinen Rechtsanwalt nicht sprechen können, weil es nicht genehmigt wurde. Das erste Mal wurde ich nach drei Monaten von meiner Familie besucht. Wir saßen durch eine Scheibe getrennt und konnten uns nur über Telefon verständigen. Es gab auch viele persönliche Schikanen und häufige Durchsuchungen der Zelle. Jeden Tag gab es eine halbe Stunde Rundgang. Es war wirklich schlecht, aber angeblich soll man in diesem Untersuchungsgefängnis noch am besten untergebracht sein. Wie wurde während dieser Zeit deine Familie versorgt? Piotr: Erst mal versucht die Familie selbst auszukommen. Dann gibt es den Freundeskreis, der finanziell und materiell hilft. Und schließlich das Primas–Komitee, das den Familien monatlich Geld bezahlt. Doch die meisten Kriegsdienstverweigerer werden wie normale Kriminelle behandelt und nicht, wie wir, als politische Gefangene. Das Interview führte Florian Bohnsack
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen