Jahrmarkt der Alternativkultur in Hasselbach

■ Nicht nur die Demonstration gegen die Cruise Missile–Stationierung im Hunsrück brach alle Rekorde /Auch das „Volksfest“ auf der Beller Wiese ist Ausdruck einer wiedererstarkten Friedensbewegung mit anhaltend großem Appetit

Von der Beller Wiese Felix Kurz

„So einen Tag wie diesen hat der Hunsrück seit seinem Bestehen nicht erlebt.“ Strahlend, überglücklich und etwas erschöpft ist Gerhard Lorenz, seit vielen Jahren im Beller Gemeinderat, der sich schon lange einstimmig gegen die Stationierung der Cruise Missiles im Hunsrück ausgesprochen hat. Er entschied auch, daß das Gelände des Beller Marktes für die Großkundgebung zur Verfügung gestellt wurde. Zwar ist die Wiese an verschiedene Bauern verpachtet, doch die Landwirte wie Hans– Georg Ramser oder der CDU– Mann Walter Michel waren „selbstverständlich“ einverstanden. Der Bauingenieur Gerhard Lorenz ist längst nicht mehr aus der Hunsrücker Friedensbewegung wegzudenken. In der Friedensinitiative Rhein–Hunsrück–Nahe– Mosel (FI), die den Widerstand gegen das „todbringende Rüstungsprojekt“ in Hasselbach inzwischen zu einem fest verankerten Faktor in der Bevölkerung hat werden lassen, ist man fast ergriffen angesichts der Dimension und des Verlaufs der größten Demonstration außerhalb Bonns seit dem Stationierungsbeschluß. Zwischen 50.000 und 100.000 Teilnehmer hatte man schon erwartet. „Aber daß es so viele waren“, sagt einer, „ist beeindruckend.“ Von den ca. 180.000 Demonstranten kamen nach Schätzungen der Polizei allein rund 10.000 aus dem Rhein–Hunsrück–Kreis, zu dem Bell und Hasselbach gehören. Der Rhein–Hunsrück–Kreis ist mit nur 80.000 Bewohnern einer der bevölkerungsärmsten Landkreise. Die riesige Wiese, kurz Beller Markt genannt, auf der 1629 die letzte Hexe im Hunsrück verbrannt worden war, bot keinen ausreichenden Platz für alle Demonstranten. Trotz zweihundert Ständen hatte man alle Hände voll zu tun, die Menschen satt zu bekommen. Das Angebot war vielfältig: Zwischen türkischem und iranischem Kebap, dem griechischem Gyros, Creperien, Phosphatwürstchen mit Ketchup und Pommes tummelten sich ökologische Projekte und zahlreiche andere Verkaufs– und Infostände. Jahrmarkt der Alternativkultur - und das ausgerechnet im Hunsrück. Die Düsseldorfer „Bioase“, die „mobile vegetarisch–biologische Küche“, war gleich mit zwölf Leuten angerückt und bekochte in riesigen, eigens zusammengeschweißten Pfannen das Publikum. Bier wie das „Brennelemente–Faßbier“ und Federweißer in Hülle und Fülle fand man ebenso wie Vollkornpizza am „Good Food“–Stand und daneben Süßwarenshops, die guten Freunde des Karies. Der Preis für den besten Werbeslogan gebürt zweifellos dem Bund ökologischer Moselwinzer, OINOS: „Frieden braucht Bewegung - Bewegung macht Durst - OINOS“. Der Verkaufserfolg gab ihnen recht. Die Hunsrücker FI verscherbelte neben vielen Informationen und Produkten auch „Frische Muhmilch“. Das Hunsrück–Forum, die lokale Alternativ–Zeitung mit ausgezeichneten Informationen über das Militärgebiet Hunsrück, immer ein Dorn im Auge der Staatsanwaltschaft und Objekt zahlreicher Ermittlungsverfahren, war fast ausverkauft. Doch damit nicht genug. Nicaragua–Kaffee im Abonnement, „auch wenn ihr es nicht glaubt“, tönte der Werber und die „Spiritual University“ des Brahma Kumaris hatte ihren PR–Bus ebenfalls auf das Gelände gefahren. Zwischendrin das Baumsarg– Infomobil und die unsäglichen Info–Stände der DKP, zu allem Überdruß auch noch mit Megaphon. Die IG Metall–Jugend wollte natürlich auch nicht abseits stehen und verscherbelte mittendrin Maracujasaft. Für einen Infostand bei gleichzeitigem Verkauf mußten die sogenannten halbkommerziellen Stände pro laufenden Meter Bude 25 DM an die Organisatoren bezahlen. Infotische kamen mit zehn Mark davon, während die reinen Kommerzstände 35 DM pro Meter berappen mußten. Zunächst hatte übrigens ein Metzger der FI angeboten, die gesamte Bewirtung der Demonstranten zu übernehmen. Seine Bedingung: niemand sonst sollte noch zugelassen werden. Doch die FI lehnte ab. „Geschäftemacher“, so meinte man, seien nicht erwünscht. Ein paar Reitfreunde sah man ebenfalls, deren Pferdchen - mit Friedenszeichen bemalt - sich an der saftigen Hunsrückwiese erfreuten. Die Reitgruppe campierte schon seit dem Vortag in Bell. Gegenüber hielten einige unbeirrt eine Mahnwache für den im KZ ermordeten Widerstandskämpfer Paul Schneider, dessen Witwe auch nach Hasselbach gereist war. Die zahlreichen Ausländergruppen und Anti–AKW– Stände komplettierten die Vielfalt des alternativen Jahrmarkts und dokumentierten zugleich, daß die sogenannte Ein–Punkt–Bewegung der Vergangheit angehört.