: SDI ist kein Stolperstein mehr
■ Seit gestern werden die Genfer Abrüstungsverhandlungen fortgesetzt / UdSSR–Vertreter: keine direkte Verbindung zu SDI / US–Vertreter hält vollständigen Abbau der Mittelstreckenraketen in Europa für möglich / Gorbatschow: UdSSR hält Tür zu Abrüstung offen
Berlin (wps/taz) - Die in Reykjavik kurz vor dem Gipfel abrupt abgebrochene Expedition in die kalte Welt der Raketen und Atomsprengköpfe wird nun in Ost und West mit diplomatischer Emsigkeit fortgesetzt: Nach einer regelrechten Flut von Pressekonferenzen des US–Präsidenten und seiner Untermänner trat am Dienstagabend auch der Kremlchef vor die Fernsehkameras: Der Gipfel sei nicht umsonst gewesen, erklärte Gorbatschow seinen sowjetischen Mitbürgern, immerhin wüßten beide Seiten jetzt, wo sie stünden. Die Sowjetunion werde nach dem Mißerfolg nicht die Türe zuschlagen, auch wenn während der Verhandlungen klar geworden sei, daß die Amerikaner mit leeren Händen nach Reykjavik gekommen sind. Zur selben Zeit erklärte in London der inzwischen in Bonn eingetroffene sowjetische Chefunterhändler für die Genfer Abrüstungsverhandlungen, Victor Karpow, daß es keine Direktverbindung zwischen SDI und einer Wiederaufnahme von Verhandlungen über den Abbau der europäischen und asiatischen Mittel streckenraketen gebe. Der CDU– Abrüstungsexperte Rühe ist gestern überraschend zu Konsultationen nach Moskau geflogen. Die überraschende Wende in der sowjetischen Haltung - Gorbatschow hatte noch in Reykjavik darauf insistiert, daß keine Abrüstung im Bereich der Mittelstrecken– und strategischen Raketen möglich sei, wenn nicht die SDI– Versuche auf Labors begrenzt würden - scheint mit einem am Dienstagabend erfolgten Beschluß des Politbüros der sowjetischen KP zusammenzuhängen, der die Fortsetzung von Gorbatschows Abrüstungsinitiativen befürwortete: „Es wäre verhängnisvoll, historische Gelegenheiten zu einer drastischen Lösung der Probleme von Krieg und Frieden ungenutzt zu lassen“, heißt es da. Erstmals nach dem Gipfeltreffen wurden am Mittwoch auch die Genfer Abrüstungsgespräche wieder aufgenommen. Der Leiter der US–Verhandlungsdelegation, Max Kampelman, erklärte vor Verhandlungsbeginn, es scheine, als ob sich die Supermächte in Reykjavik auf den vollständigen Abbau der Mittelstreckenraketen in Europa verständigt hätten. „Wir sind bereit, das jetzt zu tun,“ fügte er hinzu. Einigkeit hatten die beiden Regierungschefs in Island nicht nur in der Frage der Mittelstreckenraketen, sondern auch bei der Reduzierung der strategischen Atom waffen erzielt: die beidseitigen Bestände an Interkontinentalraketen, Fernbombern und raketenbestückten U–Booten könnten innerhalb der nächsten fünf Jahre auf 1.600, die Zahl der atomaren Sprengköpfe auf 6.000 verringert werden. Bis zum Jahr 2000 sollen die restlichen Atomwaffen verschrottet werden. Außerdem war im Gespräch, die Kernwaffenversuche allmählich einzustellen. mf Auszüge aus der Rede Gorbatschows auf Seite 6, Kommentar Seite 4
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