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„An die Mörder unseres Bruders“

■ Die Brüder des ermordeten Gerold von Braunmühl schreiben einen offenen Brief an die RAF

Ihr habt unseren Bruder ermordet. Ihr habt Euern Mord begründet. Wir wollen Euch auf diese Begründung antworten. Das Schreiben, das Ihr am Ort des Mordes zurückgelassen habt, haben wir aufmerksam gelesen. Auch anderes, was Ihr geschrieben habt, haben wir gelesen. Wir haben darüber nachgedacht und gesprochen. Warum habt Ihr das gemacht? Eure Begründung ist eine Art Abhandlung: Fünf Seiten Weltpolitik, wie Ihr sie seht; eine halbe Seite, die wie ein schlecht passender Einschub wirkt - Aufzählung einiger Funktionen unseres Bruders und ein paar Worte zu dem, wovon Ihr meint, daß es sein Ziel gewesen sei. Eure Sprache ist wie Beton. Fest verbarrikadiert gegen kritisches Denken, gegen Gefühle und gegen jede Wirklichkeit, die sich ihren erstarrten Begriffen nicht fügen will. Sie gibt dem, der sie spricht, immer recht. Sie ist schwer verständlich, obwohl sie alles so einfach macht: - Da ist das imperialistische Gesamtsystem als „hauptfeind der völker in ihrem kampf um selbstbestimmung und befreiung.“ - Da ist Westeuropa, das geeint und gestärkt werden soll, um die USA militärisch zu entlasten und den Zusammenbruch des Gesamtsystems möglichst aufzuhalten. Durch Errichtung einer europäischen NATO–Säule wird Westeuropa zum neuen Kriegszentrum. „Europäisch Politische Zusammenarbeit“ (EPZ) heißt der neue Hauptfeind des internationalen revolutionären Proletariats. - Und schließlich sind da die Leute, die das alles machen. Hervorragend unter anderen der politische Direktor im Bonner Auswärtigen Amt, in dessen Zuständigkeit die EPZ fällt. Also schießt Ihr auf ihn: „heute haben wir... den geheimdiplomaten braunmühl, ... eine der zentralen figuren in der formierung westeuropäischer politik im imperialistischen gesamtsystem, erschossen.“ Eine tot–sichere Logik. - Aber wen soll sie überzeugen? Gibt es unter Euch und Eueren Freunden keine kritischen Fragen? Zum Beispiel: Ob Einigung und Stärkung Westeuropas und Europäisch Politische Zusammenarbeit auch zu etwas anderem führen kann als zur Stützung der USA und zu verschärfter Ausbeutung der Dritten Welt? Fragt Euch niemand, wie Ihr Eure Theorien überprüft und Eure Behauptungen beweist? Und wie legitimiert ihr das, was Ihr tut? Macht es Euch keine Schwierigkeiten zu erklären, wie eine zwanzig– oder zweihundertköpfige Gruppe, die sich kommunistisch nennt, das macht, „als internationales proletariat zu denken und zu handeln“? Daß „der prozeß der front hier und jetzt nicht massenhaft verläuft“, ist Euch nicht entgangen. Auf die Zustimmung der Menschen, für die Ihr denken und handeln wollt, habt Ihr verzichtet. - Wer erleuchtet Euch? Wer macht Euch zu Auserwählten Eurer elitären Wahrheit? Wer gibt Euch das Recht zu morden? Gibt es irgendetwas außerhalb Eurer grandiosen Ideen, was Euch erlaubt, einem Menschen Eure Kugeln in den Leib zu schießen? Glaubt Ihr wirklich, jemanden davon überzeugen zu können, daß Ihr ausgerechnet mit dem Mord an unserem Bruder „den strategischen plan der imperialistischen bourgeoisie, weltherrschaft zu erreichen, in seinen konkreten aktuellen projekten angegriffen“ habt? Vielleicht habt Ihr deshalb den „Geheimdiplomaten“ erfunden, weil das so schön verrucht klingt und ein wenig über die Verlegenheit hinweghelfen soll, die es Euch bereitet, gerade diesen Mord „politisch vermitteln“ zu müssen. Oder bringt es Euch nicht in Verlegenheit, wenn es sich auch unter Eueren Freunden herumspricht, daß Ihr einen ermordet habt, der sich nie angepaßt hat - auch nicht innerhalb dieser Bundesregierung -, einen, den Krieg und Ungerechtigkeit - egal auf welcher Seite - zutiefst empörten und der in erster Linie immer für eine Verständigung mit den sozialistischen Ländern gearbeitet hat? Wißt Ihr das überhaupt? Interessiert Euch so etwas? Untersucht man bei Euch so genau, bevor man einen Mord begeht? Aber vielleicht habt Ihr unseren Bruder ja gerade deshalb ermordet, weil Ihr das wußtet. Weil Euer Klischee vom „imperialistischen vernichtungsstrategen“ verzweifelt schlecht auf unseren Bruder passen wollte. Ihr schreibt, Braunmühl habe die EG „militärisch sauber“ halten wollen, „um die imperialistische vernichtungsstrategie auf politischer ebene forcieren“ zu können. Die bekannte Heimtücke der Linken und Liberalen: daß sie das System verschleiern, dadurch wirksamer machen und aufrecht erhalten! - War das Euer tieferer Grund? Warum sagt Ihr es dann nicht offen heraus: Wir haben Braunmühl erschossen, weil wir Linke und Liberale besonders hassen, und weil seine Ermordung für uns kein Risiko war. Was soll das unglaubwürdige Gerede von Bewußtsein und Zielen Eurer Opfer? - Ihr behauptet zu wissen, was die Ziele unseres Bruders gewesen sind. Woher: Habt Ihr ihn danach gefragt? - Was ein Mensch weiß und will, das braucht Ihr ihn nicht zu fragen. Das sagt Euch Eure patente Logik, die Euch erlaubt, über die Köpfe der Menschen hinwegzudenken. Habt Ihr es nötig, vor Euren Freunden zu lügen und den falschen Eindruck zu erwecken, Ihr wüßtet, welchen Menschen Ihr getötet habt? Wenn Ihr auf objektive Funktionen schießt, die ihr erkannt zu haben glaubt, - was faselt Ihr dann von Menschen und ihren Zielen, um die Ihr Euch niemals gekümmert habt? Genügt es Euren Freunden etwa doch nicht, wenn Ihr ihnen sagt, was für eine Funktion einer hatte? Verlangen sie, bevor sie Euch applaudieren, am Ende doch den „Beweis“, daß das Opfer auch noch ein „Schwein“ war? Daß es all das Böse nicht nur getan, sondern auch gewußt und gewollt hat? Und noch eine letzte Frage: Was wolltet Ihr mit diesem Mord erreichen? Was sind Eure Ziele, und was glaubt Ihr, wird passieren, wenn Ihr so weitermacht? -Zuerst: „wird der brd–staat so erschüttert, daß er nicht mehr handlungsfähig ist“. - Und dann: „wird das us–militär hier das kommando übernehmen.“ - Und dann? - Weiter wollt Ihr nicht gefragt werden, denn: „es ist absolut sinnlos, für den kampf jetzt nach dem großen strategischen plan zu suchen oder über räterepublik und moral zu philosophieren. dabei kommt nur raus, daß man den eigenen boden unter den füßen verliert...“ Das ist, was Ihr zur Begründung für die Ermordung unseres Bruders vorzubringen habt. Ihr glaubt, Euren Gegnern bleibe nichts anderes übrig, als Euch zu diffamieren oder die inhaltliche Auseinandersetzung zu verweigern. Wir glauben, Eure Gegner können nichts Besseres tun, als Eure Theorien, Behauptungen und Strategien überall bekannt zu geben. Deshalb dieser offene Brief. Es ist wahr: Unser Bruder, den Ihr ermordet habt, hat die Politik dieses Staates mitgeformt und mitgetragen. Er war für sie mitverantwortlich. Das hat er gewußt, und er war mit seiner ganzen Intelligenz und Ehrlichkeit davon überzeugt, daß diese P besser geprüft und sich der Kritik offener gestellt hat. Ihr setzt die mörderische Tradition derer fort, die sich für Auserwählte der Wahrheit halten, in deren Namen sie die schlimmsten Verbrechen begehen. Ihr seid auf dem schlechtesten Weg. Gegen Unrecht und Gewalt, die von Staaten und Regierungen ausgehen, werdet Ihr mit Euerem Terror am wenigsten ausrichten. Einer menschenwürdigen Welt werdet Ihr uns mit Euren Morden kein Stück näher bringen. Hört auf. Kommt zurück. Habt den Mut, Euer geistiges Mordwerkzeug zu überprüfen. Es hält der Prüfung nicht stand. Treffend sind nicht Eure Argumente, treffend sind nur Eure Kugeln. Ihr habt das Abscheulichste und Sinnloseste getan. Die Brüder von Gerold von Braunmühl.

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