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Das deutsch–deutsche Giftmüll–Desaster

■ Verwaltungsgericht Schleswig stoppt Gift–Transporte auf die DDR–Deponie Schönberg Den Bundesländern droht der akute Notstand / Niedersachsens Deponie Hoheneggelsen als Alternative?

Morgen früh wird der Postbote dem schleswig–holsteinischen Ministerpräsidenten Barschel schlechte Nachricht bringen: die Urteilsbegründung für den Stopp weiterer Gift–Transporte auf die DDR–Deponie nach Schönberg. Die Gerichtsentscheidung bringt Chemie–Deutschland in höchste Bedrängnis. Abfälle und Altlasten drängen auf eine Entsorgung, doch der Deponieraum fehlt.

In der BRD ist der (vorläufige?) Müllnotstand ausgebrochen: Innerhalb weniger Tage hat jetzt ein zweites deutsches Gericht den Müll–Tourismus auf die Giftkippe der Nation, die DDR– Deponie Schönberg gestoppt. Das Verwaltungsgericht Schleswig versandte gestern sein Urteil, mit der dem demLand Schleswig–Holstein ab sofort untersagt wird, weiter seine Abfälle auf die DDR– Deponie sechs Kilometer vor der Haustüre der Stadt Lübeck zu kippen. Wichtigste Begründung dieser vorläufigen Eil–Entscheidung: die Gefährdung der Trinkwasser–Versorgung der Stadt Lübeck durch die Gifteinlagerungen auf der DDR–Deponie. Damit hat das Gericht die Einschätzung der Deponiegegner, der Stadt Lübeck und der Grünen, die seit Jahren gegen Schönberg kämpfen, vorerst bestätigt. Zuvor hatte schon das Verwaltungsgericht Darmstadt ein ähnliches Urteil gefällt und den Giftexport des grünen hessischen Umweltministers Josef Fischer nach Schönberg vorläufig gestoppt. Gestern kündigte der Innensenator der Stadt Lübeck, Egon Hilpert (SPD) an, daß er notfalls sämtliche Bundesländer mit Klagen überziehen werde, falls diese - trotz der jetzigen Rechtslage - an Schönberg festhalten sollten. „Keine mit politischer Moral versehene Regierung kann die Transporte nach Schönberg jetzt noch aufrechterhalten“, sagte Hilpert. Doch mit der Moral ist es nicht weit her. Als erster hat ausgerechnet der hessische Umweltminister Fischer angekündigt, daß er „alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen“ wolle, um weiter nach Schönberg zu liefern. Als Alternative zu Schönberg stünden derzeit nur „ökologisch weniger vertretbare Deponien“ zur Verfügung. Fischer kurz und griffig: „Ich kann mir keine Deponie aus den Rippen schnitzen“. Mit dieser Position hat Fischer bei den schleswig–holsteinischen Grünen bares Entsetzen ausgelöst. Günter Wosnitza, der abfallpolitische Sprecher der Schleswig–Holstein– Grünen geißelt seinen Parteifreund Fischer als „Opportunisten ohne wenn und aber“. Sämtliche Gremien der Grünen hätten sich für den Stopp der Lieferungen nach Schönberg ausgesprochen, „aber Joschka interessiert das überhaupt nicht“. Und Lübecks Innensenator Hilpert reibt sich die Augen, weil „der CDU– Ministerpräsident Barschel sich dem Gerichtsbeschluß beugt und erstmal zwischenlagert, während der Grüne Fischer weiter liefern will“. Sauer ist Hilpert auch auf seine Hamburger Genossen, die ihren Entsorgungspfad in die DDR ebenfalls aufrechterhalten wollen. Hamburg hat sich in den letzten Jahren in eine vollständige Abhängigkeit zu der DDR– Deponie hineinmanövriert. Allein im vergangenen Jahr wurden 125.000 Tonnen Hausmüll, 300.000 Tonnen gifthaltiger Klärschlamm, Hafenschlick und Industrieabfälle nach Schönberg gekarrt. Nach Schließung ihrer Deponie Neu– Wulmstorf im September 86 hat die Hamburger Stadtreinigung ihre Müllanlieferungen über die deutsch–deutsche Grenze nochmals verdoppelt. Die Hansestadt ist das Paradebeispiel einer allgemeinen Schönberg–Abhängigkeit der deutschen Sondermüll–Entsorgung. Das derzeitige planfestgestellte bundesweite Volumen für die Beseitigung der Wohlstands–Exkremente ist nach Schätzungen von Experten in zwei bis drei Jahren ausgeschöpft. Dann wäre die BRD vollständig an Schönberg angeschlossen. Schon heute liegt die auf die DDR–Kippe angelieferte Menge an Abfällen bei rund einer Million Tonnen. Innensenator Hilpert: „Man muß sich mal die Dimensionen klarmachen, wenn das noch Jahre so weiter läuft. Im Vergleich mit Schönberg ist z.B. Georgswerder (die größte westdeutsche Deponie - die Red.) ein kleines Häufchen.“ Ob chlororganische Verbindungen, Asbestabfälle, ölverseuchte Böden, Cyanide und Arsen, Schwermetalle oder Altmedikamente, Kunststoff–Abfälle oder Lösungsmittel - Schönberg schluckt alles, ohne Probleme für die Produzenten und Anlieferer. Sämtliche Bundesländer mit Ausnahme von Bayern und Rheinland– Pfalz benutzen die größte Giftmüll–Kippe Europas in Schönberg als Deponie. Im vergangenen Jahr fuhren die Schwerlast– Lkws, die täglich durch das Grenzgebiet rollen, insgesamt 800.000 Tonnen nach Schönberg. Aber auch andere europäische Länder wie Italien, Holland oder Österreich setzen, wenn auch im kleineren Maßstab, auf die DDR– Connection zur problemlosen Entsorgung. Daß das gesamtdeutsche Giftklo dabei nicht einmal die Voraussetzungen einer bundesdeutschen Hausmüll–Deponie erfüllt, hat bisher niemanden gestört. Im Gegensatz zu allen anderen Äußerungen der DDR wurden die Erklärungen Ost– Berlins von der Sicherheit und Unbedenklichkeit der Anlage stets als seriös–amtlicher Persilschein behandelt, war die DDR plötzlich glaubwürdig. Mit den Gerichtsentscheidungen von Darmstadt und Schleswig ist der Müll– Torurismus über die deutsch–deutsche Grenze nun gestoppt. Allerdings nur vorläufig und nur für die Bundesländer Schleswig–Holstein und Hessen, und auch hier wiederum nur für einzelne Transport -Genehmigungen, gegen die sich die Klagen der Stadt Lübeck konkret gerichtet hatten. Die Hauptsache– Entscheidung über die Zulässigkeit der bundesdeutschen Gift–Transporte nach Schöneberg und eine endgültige juristische Bewertung der Gefahren, die von dieser Deponie für die Stadt Lübeck und das gesamte Umland ausgeht, steht noch aus. Sollte die west–deutsche Justiz dem vorläufigen Urteil folgen und die Gift–Transporte nach Schönberg endgültig stoppen, wäre das Giftmüll– Desaster komplett. Manfred Kriener

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