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„Gruppe Ludwig“ in Verona vor Gericht

■ Den beiden Angeklagten werden 15 Morde zur Last gelegt / Sadistische Taten und Hakenkreuzbriefe ließen rechtsradikale Organisation vermuten / Die Täter entstammen der feinen Gesellschaft Veronas / Zuständigkeit des Gerichts in Verona bestritten

Aus Rom Werner Raith

Äußerlich zeigen die Fernsehbilder vom oben begonnenen Prozeß die üblichen Sicherheitsvorkehrungen bei „gefährlichen“ Angeklagten - doch hier gelten die Schutzmaßnahmen weniger einem möglichen Ausbruch der Häftlinge, sondern ihrem Schutz. Schon bei ihrer Festnahme im März 1984 in der Diskothek „Melamara“ in Castiglione di Stiviere bei Mantova wären Wolfgang Abel, heute 27, und Marco Furlan, 26, beinahe gelyncht worden: Die beiden hatten, unter Harlekin– Masken verborgen, das Handwerkszeug für einen Brandanschlag auf das Lokal bei sich. Die Ermittlungsbeamten waren alsbald sicher: bei den beiden handelte es sich um langgesuchte Täter, die seit Jahren Morde verübten und sie in Bekennerbriefen mit dem Signe „Ludwig“ versahen - meist in Runenschrift und der deutschen Formel „Gott mit uns“ am Ende. Seit 1977 war „Ludwig“ am Werk, lange Zeit dachte man - einiger Hakenkreuze auf den Briefen wegen - an eine größere rechtsradikale Organisation.Die sadistischen Mordtaten richteten sich grundsätzlich gegen Personen, gegen die offenbar ideologische Abneigungen der Täter vorlagen - Prostituierte, Homosexuelle, Roma, Priester (ihnen schlugen die Mörder die Köpfe mit Kruzifixen ein). Auch „sittenlose“ Lokale waren das Ziel von „Ludwig“: Beim Brand der „Eros“–Bar in Mailand starben sechs Menschen; in München soll der Anschlag auf das „Liverpool“, bei dem es einen Toten und zahlreiche Verletzte gab, auf ihr Konto gehen. Die Festnahme der beiden hatte besonders in der „feinen“ Gesell schaft Veronas Schockwirkung: Wolfgang Abel ist der Sohn eines aus Bayern zugewanderten Versicherungs–Managers, hat mit Auszeichnung Mathematik studiert und stets in den „feinen Kreisen“ seiner Eltern verkehrt. Marco Furlan, Diplomphysiker, stammt aus dem Hause eines Krankenhaus–Chefarztes und war ebenfalls nur durch feine Manieren aufgefallen. Psychiatrische Gutachten haben verminderte Zurechnungsfähigkeit bei den Angeklagten festgestellt; die Staatsanwaltschaft geht jedoch davon aus, daß eine Veruteilung zu mehrmals lebenslänglich möglich ist.Bislang ist freilich noch nicht sicher, ob der Prozeß nicht bereits in den Anfängen platzt - die Verteidigung bestreitet die Zuständigkeit des Gerichts in Verona sowie die Möglichkeit, angesichts der Lynchatmosphäre ein korrektes Verfahren durchzuführen. Das Gericht wird sich am Mittwoch nachmittag zu dieser Frage äußern. Erst dann wird sich auch herausstellen, ob die beiden - auch im Gerichtssaal bisher schweigsamen - Angeklagten zu den Anschuldigungen Stellung nehmen werden.

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