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Unhaltbare Zustände in München

■ Öffentlichkeit unerwünscht / Asylbewerber und Obdachlose zusammen in einer Notunterkunft / Pressekonferenz verboten / Verwaltungsgericht bestätigt das Verbot

Aus München Luitgard Koch

„Das ist ein vorübergehendes Provisorium, aus der Not geboren“, versucht Pressesprecher Herbert Ditzke vom Münchener Sozialreferat die Zustände zu rechtfertigen. In einem alten Fabrikgebäude im Münchner Osten sind seit Ende Oktober 70 Obdachlose und 50 Asylbewerber untergebracht. Vier Kochplatten in einer Küche im Erdgeschoß, die Schränke dort sind noch mit Tesa verklebt, stehen den 70 Obdachlosen zur Verfügung. Im ganzen Haus ist kein Kochgeschirr vorhanden. Tische und Stühle wurden von den Bewohnern vom Sperrmüll besorgt. Sieben Duschen, nicht abschließbar und ohne Vorhänge, befinden sich für Frauen und Männer im Keller. Gemeinschaftsräume sind nicht vorhanden. In den Schlafsälen sind zum Teil in zweistöckigen Betten bis zu 12 Personen in dem für ein Jahr vorgesehenen „Provisorium“ untergebracht. Ein beinamputierter Sozialhilfeempfänger wohnt im vierten Stock. Wegen Brandgefahr wurde die einzig dort vorhandene Kochplatte abmontiert. Für eine jungen Frau mußte, nachdem sie mehrmals ohnmächtig wurde, der Notarzt geholt werden. „Davon weiß ich nichts“, so die Antwort Michael Schneiders vom zuständigen Sozialamt in der nahegelegenen Franziskanerstraße. „Ein solches Haus wie dieses ist einmalig“, muß auch Herbert Ditzke zugeben. Einmalig ist es wohl auch, daß zur Betreuung dieses „sozialen Brennpunkts“ jeweils zwei Studenten der Theologie oder Sozialpädagogik, engagiert wurden. „Wir sind nicht bösartig, die Situation hat uns überrollt“, versucht auch Sozialarbeiter Schneider die Situation zu entschärfen. Michael Parciak, ihm wurde Anfang der Woche ein Bett in der Notunterkunft zugewiesen, ist da anderer Meinung. Bereits Ende Oktober beschloß die Stadt München Obdachlose nicht mehr in Pensionen unterzubringen. Gleichzeitig war jedoch klar, daß 800 der bisherigen Notunterkünfte abgerissen werden. Um die unhaltbaren Zustände öffentlich zu machen, versuchte Parciak eine Pressekonferenz zu initieren. Die Pressekonferenz wurde von der Stadt verboten. Auch mit einer einstweiligen Verfügung gegen diese Anordnung hatte er keinen Erfolg. Das Münchner Verwaltungsgericht bestätigte das Verbot. Als trotzdem gestern mehrere Pressevertreter erschienen, waren auch die Herren vom Sozialreferat zur Stelle. Paciak sollte noch am selben Tag in eine andere Notunterkunft verlegt werden.

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