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Reformer–Flügel siegt in Vietnam

■ Der sechste Parteitag der vietnamesischen KP brachte die tiefgreifendsten Veränderungen in der 56jährigen Geschichte der Partei / Halbes Politbüro ausgetauscht / Neue Kräfte in Schlüsselpositionen

Vietnam steht vor einer Reform an Haupt und Gliedern. Sowohl kräftiger Druck aus Moskau als auch die immer größer werdenden wirtschaftlichen Probleme zwangen fast die gesamte Alte Garde zum Rückzug. Die Männer, die zum Teil bereits während der Parteigründung vor 56 Jahren zu den engeren Mitarbeitern Ho Chi Mins zählten, mußten nun einer Generation weichen, die wirtschaftspolitisch und in der Außenpolitik mehr Flexibilität zeigen soll. Das heißt, Abschied von den Großmachtträumen.

Mit einer Reihe wichtiger Entscheidungen ist der VI. Parteitag der Kommunistischen Partei Vietnams am Donnerstag nach viertägigen Beratungen zu Ende gegangen. Auf der Schlußsitzung bestimmte das am Mittwoch neu gewählte Zentralkomitee den früheren Parteichef von Ho–Chi–Minh– Stadt (Saigon), den 71jährigen Nguyen Van Linh, zum neuen Generalsekretär. Linh, der als Wortführer einer Gruppe von Wirtschaftsreformern gilt, die in jüngster Zeit innerhalb der Partei stark an Einfluß gewonnen hat, löst den am Vortag zurückgetretenen Truong Chinh ab. Gleichzeitig wählte das ZK ein neues Politbüro. Nach Angaben des Rundfunksenders „Stimme Vietnams“ wurden rund die Hälfte der 13 Sitze in diesem obersten Machtgremium neu besetzt. Dabei rückte der stellvertretende Regierungschef und Innenminister Pham Hung nach Linh an die zweite Stelle auf, die bisher von dem ebenfalls aus der Parteiführung ausgeschiedenen Minister präsidenten Pham Van Dong eingenommen wurde. Vo Chi Cong, ebenfalls einer der stellvertretenden Ministerratsvorsitzenden, rückte an die dritte Stelle in der Parteihierarchie auf. Neues Vollmitglied des Politbüros wurde auch Außenminister Nguyen Co Tach, der bisher nur Kandidat war. Am Mittwoch hatten neben Truong Chinh, der zugleich Staatsratsvorsitzender ist und das Amt des Parteichefs nur ein halbes Jahr seit dem Tod seines Vorgängers Le Duan im Juli innehatte, und Pham Van Dong auch der bisherige ZK–Sekretär Le Duc Tho nicht mehr für das an diesem Tag neugewählte ZK kandidiert. Die neugewählte Führungsspitze Vietnams soll offensichtlich eine Wende vor allem im Bereich der darniederliegenden Wirtschaft des Landes markieren. Nach Ansicht von Beobachtern zeigen die personellen Veränderungen an, daß sich die Befürworter einer Reform mit einem liberaleren Wirtschaftskurs durchgesetzt haben. Die Beschlüsse des Parteikongresses, der am Donnerstag zu Ende ging, gelten als die tiefgreifendsten in der 56jährigen Geschichte der 1930 von Ho Tschi Minh gegründeten KP. Der neue Generalsekretär Linh gehört der Partei seit 1936 an. 1960 war er ins ZK, 1976 ins Politbüro aufgestiegen, jedoch beim V. Parteitag 1982 nicht wieder in das Gremium gewählt worden. Damals hatte es Spekulationen gegeben, daß die Vertreter einer harten Linie innerhalb der Partei mit Linhs unorthodoxer Wirtschaftspolitik unzufrieden gewesen seien, mit der er als Parteichef von Ho–Chi–Minh–Stadt die dortige Wirtschaft dezentralisiert hatte. Linhs Comeback begann jedoch bereits 1985, als die sogenannte „alte Riege“ in der Führungsmannschaft der Partei wegen der desolaten Wirtschaftslage des Landes unter zunehmenden Druck geriet. Vertreter dieser alten Riege hatten zu Beginn des Parteitages Selbstkritik geübt und eingeräumt, daß auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet in der Vergangenheit Fehler gemacht worden seien. ap

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