Verwaltung unterläuft Volkszählungsgesetz

■ Bericht der Datenschutzbeauftragten Baden–Württembergs / Kein Datenschutz bei Vernetzung der Behörden / Bagatelldelikte im Polizeicomputer gespeichert

Aus Stuttgart Dietrich Willier Im Unterschied zum Bundesbeauftragten für Datenschutz traut sich die baden–württembergische Landesdatenschutzbeauftragte, Frau Dr. Ruth Leuze, ihren Jahresbericht 86 noch vor den Bundestagswahlen zu veröffentlichen. Der 140seitige Bericht ist äußerst brisant. Zwar deckt sich nach nach Feststellung von Frau Leuze das Volkszählungsgesetz 87 gerade so mit der höchstrichterlichen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von vor vier Jahren, wird aber durch Verwaltungsvorschriften des baden–württembergischen Innen– und Finanzministeriums wieder aufgehoben. So entsprach die baden–württembergische Landesregierung beispielsweise den Wünschen der 1.111 Landeskommunen, ihr ortsansässiges Volk selbst zu zählen, auch wenn gerade dadurch die von den Verfassungsrichtern auferlegte örtliche und zeitliche Trennung von Verwaltung und Datenerhebung nicht mehr gewährleistet ist. Sicherungsmaßnahmen für die Datenbögen gegen Mißbrauch sind schon gar nicht vorgesehen. Für ein sogenanntes Landessystemkonzept, d.h. die computergesteuerte Vernetzung aller baden–württembergischen Ministerien mit der öffentlichen Verwaltung, Behörden, Dienststellen und Institutionen wie auch den kompatiblen Datenspeichern von Verfassungsschutz und Polizei, sind Datenschutzmaßnahmen gar nicht erst vorgesehen und nach Ansicht von Frau Leuze technisch auch gar nicht realisierbar. Bei ihren Untersuchungen und Kontrollen stieß die baden–württembergische Datenschutzbeauftragte auf so manche Horrorvision von Zukunftsromanen: vom Ravensburger Verfassungsschutzskandal über die polizeiliche Langzeitspeicherung siebenjähriger Kaugummidiebe, das Bagatelldelikt einer 89jährigen Rentnerin bis zur jedermann/frau zugänglichen Speicherung „sensibelster“ Daten in Krankenhäusern und Universitätsinstituten und die Ausbeutung des Datenbestands der Flensburger Kraftfahrerkartei. „1984“ ist Alltag geworden. Siehe auch Seite 7