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Umdenken ein Jahr nach den Challenger–Knall

■ Der NASA–Raumfährenbetrieb liegt nach wie vor darnieder / Militärische Weltraumprojekte durch Transportprobleme beeinträchtigt / Private US–Anbieter haben Marktlücke entdeckt / Attraktive Angebote aus China und der Sowjetunion

Von Imma Harms

Berlin (taz) -“Dies ist der Tag, den die NASA 25 Jahre hinausgeschoben hat“, sagte der Astronaut John Glenn über den 28. Januar 1986, als die US–Raumfähre „Challenger“ vor den Augen der entsetzten Nation 73 Sekunden nach dem Start explodierte und die sechs Astronauten sowie die Lehrerin Christa McAuliffe in den Flammen umkamen. Wie vernichtend der Offenbarungseid für die US–Raumfahrt tatsächlich ausfallen würde, wurde erst einige Monate später nach Abschluß der Arbeiten des von US–Präsident Reagan eingesetzten Untersuchungsausschuß deutlich. Danach wird der Raumfährenbetrieb, der ursprünglich schon im Juni desselben Jahres wieder aufgenommen werden sollte, mindestens bis 1988 ruhen. Im Spätsommer teilte die NASA ihren Vertragspartnern mit, daß sie von den übernommenen 44 Aufträgen nur 15 werde durchführen können, und auch das nur mit einer Verzögerung von mehreren Jahren. Reagan ordnete den Bau einer Ersatzfähre an, die jedoch voraussichtlich erst in fünf Jahren einsatzbereit sein wird. Besorgt um die weitere Wirksamkeit seiner Androhung, den Weltraum zu militarisieren, bestimmte er deshalb gleichzeitig, daß die Raumfähren bis auf weiteres keine kommerziellen Aufträge mehr übernehmen dürfen. Vorrang sollen militärische (SDI–) und (zur Vorbereitung der geplanten Raumstation) wissenschaftliche Missionen haben. Dem Pentagon nützt diese Zusicherung (für die nächste Zeit des gestoppten bzw. reduzierten Raumfahrtbetriebs) wenig. Ist doch das SDI–Management gerade jetzt auf das Vorzeigen sichtbarer Erfolge angewiesen, um weitere Milliarden locker zu machen. Auch andere militärische Raumprojekte wie die Stationierung eines Nachrichtensatelliten– Netzes, bestehend aus 28 GPS–Satelliten, sind aus der Sicht der Militärs nicht hinauszuschieben, bis die NASA wieder Kapazität anbieten kann. So orientiert sich das Pentagon jetzt in Richtung auf kommerzielle Anbieter und die ausländische Konkurrenz. Ende letzten Jahres wurden Gespräche mit der europäischen Arianespace aufgenommen. Doch die ist mit ihrer Planung durch eine Reihe von technischen Schwierigkeiten selbst im Verzug, hat hohe Transportpreise und dabei nur eine Erfolgsquote von 78 ). Ein Kongreß–Beschluß machte Ende des Jahres den Versuch, Pentagon und NASA noch einmal miteinander ins Geschäft zu bringen: Das Pentagon soll die 2,8 Mrd. Dollar für eine neue Raumfähre der NASA aufbringen und dafür bei der Vergabe von Transportka pazität bevorzugt berücksichtigt werden. Die Militärs winkten ab. Zu teuer und für ihre Bedürfnisse das falsche Konzept. Denn für die Weltraum–Militarisierung wird Einweg–Transportkapazität gebraucht. Schwere Lasten, Satelliten–Systeme, Plattformen für kinetische Waffen, Laserkanonen und -spiegel müssen ins All, eine Rückholung ist nicht vorgesehen. Pentagon und übrigens auch nicht– militärische Interessenten liebäugeln deshalb eher mit Schwer– Transportern wie der von United Technologies entwickelten Rakete, die etwa 50 Tonnen Nutzlasten mit einem Flug in erdnahe Umlaufbahnen befördern kann. Kleinere US–Firmen spezialisieren sich derweil auf den Bau von Billig–Raketen für kleine Lasten, die für einen Startpreis von 6 bis 8 Mio Dollar zu haben sind. Welche Chancen sie haben ist ungewiß, denn das Raketengeschäft mit dem Pentagon ist fest in der Hand der drei Großen McDonnell Douglas (Delta–Rakete), General Dynamics (Atlas und Centaur–Rakete) und Martin Marietta (Titan–Rakete). McDonnell Douglas ist es vor wenigen Tagen gelungen, einen 1 Mrd.–Dollar–Auftrag zum Bau von 20 Delta II–Raketen an Land zu ziehen, mit dem jetzt die GPS–Satelitten an den Himmel gehängt werden sollen. Auch Marietta winkt ein Auftrag über 23 Titan–4–Raketen für schwere Lasten. Im Kielwasser dieser die Produktionslinie sichernden Aufträge konnten die beiden Unternehmen auch vier Transportanfragen kommerzieller Satellitenbetreiber verbuchen. Sollte das Pentagon trotz Ankurbelung des privaten Raketenmarktes in den USA seine Transportbedürfnisse nicht decken können, winken noch zwei interessante Alternativen in Übersee. China bietet seine Trägerrakete „Langer Marsch“ zu günstigen Konditionen für den internationalen All–Transport an. Außerdem wäre da noch das kürzlich erneuerte Angebot der UdSSR für Trägerdienste mit ihren Raketen. Da die Sowjets angeboten haben, das transportierte Material nicht anzurühren, nicht einmal anzuschauen, könnte das Pentagon seine „Star wars“–Komponenten der sowjetischen Raumfahrt hinterrücks in den Rucksack stopfen. Eine neue Variante der - zwar nicht friedlichen, aber doch einträchtigen - gemeinsamen Weltraumnutzung!

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