: Das dritte Bonbon des Felipe Gonzalez
■ Eine Menschenkette zum US–Stützpunkt Torrejon hat dagegen protestiert, daß der spanische Regierungschef sein Versprechen bisher nicht eingelöst hat, die US–amerikanische Truppenpräsenz zu verringern / Die Zusage war eines von drei „Bonbons“, mit dem er das NATO–Referendum vor einem Jahr gewann
Von Dieter Stürzebecher
Man sei so weit gegangen wie nur möglich, ließen die USA verlauten. Das Angebot der US–Regierung sei minimal und unzureichend zur Truppenreduzierung, erklärten die spanischen Verhandlungspartner. Ohne Ergebnis aber werde es keinen neuen Stützpunkt–Vertrag geben. Einen Monat, nachdem am 4. Februar die beiden Delegationen ergebnislos auseinandergingen, hat die spanische Anti–NATO–Bewegung begonnen, noch einmal Druck auf die Regierung auszuüben. Mehr als 3.000 Menschen formten eine symbolische Kette von der Stadt Torrejon de Ardoz östlich von Madrid bis zum gleichnamigen US–Luftwaffenstützpunkt. Symbolisch pflanzten die Organisatoren, darunter linke Gewerkschaften, Kommunistische Partei und pazifistische Gruppen, eine Ulme: Bis zur ersten Blüte sollen die Amerikaner abgezogen sein. Spaniens sozialistische Regierung unter Felipe Gonzalez verlangt den vollständigen Abzug der Amerikaner von ihren Luftwaffenbasen Torrejon de Ardoz und Sanjurjo de Valenzuela bei Zaragoza. Ebenso sollen die Nutzungsrechte für das riesige Bombardierungs–Manövergelände las Bardenas, der bis dato einzigen Einrichtung dieser Art, über die die US–Streitkräfte in Europa verfügen, erheblich beschnitten werden. Demgegenüber bleibt die riesige US–Luftwaffen–/Marinebasis Rota von diesen Reduzierungsplänen Madrids völlig ausgespart. Insgesamt bedeutet das die Räumung von zwei der drei wichtig sten US–Basen und den Abzug von etwa der Hälfte der derzeit etwa 12.000 in Spanien stationierten amerikanischen Soldaten. Für die USA kommt hingegen eine volllständige Aufgabe bestehender Militärbasen überhaupt nicht in Betracht, sondern höchstens ein Teilabzug einzelner Streitkräfteeinheiten. Und dies auch nur unter der Bedingung, daß deren militärische Funktionen dann „Fall für Fall, Aufgabe für Aufgabe“ von der spanischen Armee übernommen werden. Ohne vollständige Kompensation, so die Argumentation, würde ein amerikanischer Truppenabzug auf eine einseitige Abrüstung der NATO hinauslaufen. Mit dieser Verhandlungsstrategie versucht die US–Regierung, Spanien ungeachtet seiner formellen Nicht–Integration in die militärische Struktur der NATO nun doch auf Umwegen vollständig in die NATO, d.h. auch unter deren militärisches Oberkommando zu zwingen. Für das Pentagon ist Spanien wegen seiner exponierten geographischen Lage gerade in Hinblick auf Interventionen im Mittelmeerraum und in der Golfregion eine unverzichtbare logistische Basis, wie beim Überfall auf Libyen im April letzten Jahres deutlich wurde. Der Angriff wurde von Torrejon und Rota aus elektronisch überwacht und für die Treibstoffversorgung der von den britischen Inseln kommenden US– Bomber wurden einige der in Zaragoza stationierten Tankerflugzeuge eingesetzt. Die Zwickmühle Felipe Gonzalez steckt in einer Zwickmühle: Zum einen ist der politische Preis für einen Bruch mit den USA recht hoch: Sein auf Modernisierung ausgelegtes Wirtschaftskonzept ist auf ausländische Investitionen und ausländische Spitzentechnologie angewiesen - und da spielen die USA eine wichtige Rolle. Außenpolitisch könnte ein Zerwürfnis mit den USA deren militärische Zusammenarbeit mit den südlichen Nachbarn und Erzfeind Marokko stärken. Der Druck auf Spanien, die beiden nordafrikanischen Exklaven Ceuta und Melilla, die sich ohnehin schon in ein Pulverfaß verwandelt haben, an Marokko abzutreten, könnte dadurch weiter wachsen. Und schließlich hat der Stützpunkt–Konflikt bereits jetzt eine unangenehme Folge gezeitigt: Mitte Dezember wurde nämlich bekannt, daß die für 1987 geplante US–Militärhilfe für Spanien gegenüber den Vorjahren um 75 Prozent auf 105 Millionen Dollar gekürzt wird. Andererseits riskiert Felipe Gonzalez das, was er außenpolitisch und militärisch durch ein Zugehen auf die Amis gewinnt, innenpolitisch gleichzeitig zu verspielen. Denn noch haben die Spanier nicht vergessen, daß sich die Sozialisten, solange sie in der Opposition waren, als NATO–Gegner profilierten, um alsbald nach Übernahme der Regierung ihre Meinung darüber zu ändern. Das Referendum über den Verbleib Spaniens in der NATO, das die Sozialisten während des Wahlkampfes versprochen hatten, hielten sie nur ab, um nicht den letzten Rest ihrer Glaubwürdigkeit in dieser Frage zu verlieren. Um den Verbleib in der Militärallianz gegenüber der mächtigen Anti–NATO– Bewegung überhaupt durchsetzbar zu machen, versah die Regierung ihr Pro–NATO–Plädoyer mit drei öffentlichkeitswirksamen „Bonbons“: keine Integration in die Militärstruktur der NATO, keine Lagerung und Stationierung von Nuklearwaffen in Spanien, und eben jene Verringerung der US–Militärpräsenz. Mit dieser Strategie konnte die Regierung das Referendum vom 12. März 86 zwar knapp gewinnen, doch mußte sie dann die Einhaltung der drei Bedingungen halbwegs glaubhaft unter Beweis stellen. Die langsame Auflösung der Bonbons Die Grenzen zwischen militärischer Struktur und nicht–militärischer sind bei einem Militärbündnis zwangsläufig fließend. Erst im Oktober letzten Jahres hat die Veröffentlichung eines vertraulichen Regierungsmemorandums über die Modalitäten der NATO–Integration durch die Zeitschrift Interviu für erheblichen Wirbel gesorgt. Diesem Memorandum zufolge wird Spanien zwar seine Streitkräfte auch weiterhin nicht dem NATO–Oberkommando direkt unterstellen, aber in sämtlichen militärischen Planungs– und Entscheidungsgremien der Allianz vertreten sein. Auch mit dem zweiten Referendums–Bonbon, sie würde die Atomwaffenfreiheit garantieren, überzeugte die Regierung nicht. So wurden im Februar 1985 Pläne des Pentagon bekannt, die die Stationierung von 32 Nuklearraketen in Rota im Falle einer „internationalen Krisensituation“ vorsehen. Und vor wenigen Wochen wurden der spanischen Tageszeitung El Pais militärische Handbücher aus dem Jahre 1983 zugespielt, aus denen hervorgeht, daß der Kampf mit Nuklearwaffen von den spanischen Militärs als eine mögliche Option im Kriegs– und Krisenfall angesehen wird; auf Angaben, woher die dazu benötigten Atomwaffen kommen würden, verzichteten die Handbücher diskret.
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