: Schafft mehr Massentourismus in die Dritte Welt!
■ Tourismusbörse–Begleitprogramm: Deutsche Stiftung für Entwicklungsländer organisiert PR–Veranstaltung / „Markt wird alles zum besten wenden“
Von Ulli Kulke
Berlin (taz) - Wir befinden uns in der dritten Dekade der Entwicklungspolitik. Alle Politiker reden mittlerweile davon, daß Wirtschaftswachstum da nicht das Allheilmittel sein kann... Wirklich alle? Nein! Ein unbeugsames Institut in Berlin, eigentlich zu den eher fortschrittlich durchsetzten entwicklungspolitischen „ Vorfeldorganisationen“ der Bundesregierung gehörend, weigert sich, die alten Grundsätze aufzugeben. Was den Tourismus in die Länder der Dritten Welt angeht, so gilt für die Deutsche Stiftung für internationale Entwicklung (DSE) unter entwicklungspolitischen Gesichtspunkten nach wie vor die simple Formel: Wachstum. Das zumindest ist Ergebnis der DSE nach einer internationalen Ministerrunde zum Thema „Tourismus und Entwicklung“, zu der die Stiftung anläßlich des gerade in Berlin stattfindenden Reise–Jahrmarktes „ Internationale Tourismusbörse“ (ITB) eingeladen hatte. Und weil die Formel so schön einfach ist, hielt man am vergangenen Freitag sogleich nach der Ministerrunde eine bemerkenswerte Pressekonferenz ab - immerhin zu einem Thema, entlang dessen andere Entwicklungsorganisationen auch schon mal über Kulturimperialismus, Umweltprobleme und ähnliches mehr diskutieren. Die Schlichtheit der entwicklungspolitischen Formel „Wachstum „ hatte einen Haken: Ganz offensichtlich schwante den Veranstaltern dumpf, daß es vielleicht gar nicht genügend Diskussionsstoff für die stets sensationshungrige Presse gab. Alexander Friedrich, Vorsitzender des „ Ent wicklungspolitischen Forums der DSE“, holte deshalb in seinem Eingangsstatement weit aus: Er war einfach „begeistert“ darüber, wie sehr Gertrude Mongella, Ministerin für Naturressourcen und Tourismus aus dem exotischen Tanzania, „in ganz normaler Darstellungsweise“ der Ministerrunde zuvor erzählt habe, was es mit dem Tourismus in ihrem Lande auf sich habe. Mongellas Kollege Tahir aus Indonesien wiederum - wie sie auch auf der Pressekonferenz Rede und Antwort stehend - hatte es dem weltgewandten Friedrich angetan wegen seiner „souveränen und fairen Art“ der Darstellung in der Ministerrunde zuvor, wie sie eben „viele Minister und Politiker in Indonesien“ auszeichne. Derart auf Harmonie eingestimmt, durfte der Österreicher Willibald P. Pahr, Generalsekretär der Welt–Tourismus– Organisation (WTO) und daher zentraler Mann auf dem Podium der Pressekonferenz, zur Sache gehen. Es mangele vor allem an Liberalisierung des Tourismus. Zehn Prozent des Welt–Bruttosozialproduktes stamme aus dem Tourismus, 68 Millionen Arbeitsplätze hingen daran. Für einen Mann wie Pahr gibt es da kein Zurück. Um nicht den Eindruck allzugroßer Arglosigkeit hinsichtlich der Probleme des Massentourismus in der Dritten Welt aufkommen zu lassen, schnitt Pahr durchaus auch heiße Themen an: Tourismus ist seiner Meinung nach als Motor des Umweltschutzes besonders geeignet. Wie das? wollte nun doch ein Pressevertreter wissen. Die Antwort: Ohne gesunde Umwelt kein Fremdenverkehr, also müsse der Fremdenverkehr auch für gesunde Umwelt sorgen. So einfach ist das. Tourismus und Kernenergie Sinn für größere Zusammenhänge bewies Pahr allerdings auch. Wenn Birma den Tourismus noch recht restriktiv handhabe, so sei das zwar bedauerlich, man müsse es aber respektieren: „Manche Länder haben sich ja auch entschieden, ohne Kernenergie zu leben“. Die Öffnung Chinas für den Tourismus jedenfalls sei ein „großer Schritt“. Daß der Tourismus in den exotischen Ländern in immer stärker sich ausbreitenden Gettos stattfinde, der kulturelle Austausch eher rudimentär ablaufe, weil die Menschen hauptsächlich als Fotomotive wahrgenommen würden, und in den Ländern Infrastrukturinvestitionen getätigt würden, die mit den Bedürfnissen des jeweiligen Landes überhaupt nichts zu tun hätten, wie es anwesende Journalisten vorhielten, war für ein entwicklungspolitisches Podium dieses Schlages schon gar kein Problem: Für Pahr gibts zum einen den Gettotourismus hierzulande genauso. Zum zweiten würden im heimatlichen Bayern die Trachtengruppen schließlich besonders gerne geknipst. Und für seinen Nachbarn, Ministerialdirigent Schüssler vom Bundeswirtschaftsministerium (vom Entwicklungsministerium war niemand anwesend), ist das ein klarer Fall für die heilige Schrift: Langfristig würden die Reisenden den Gettotourismus ablehnen, „der Markt“ werde daher alles schon zum besten wenden. Wenn das so klar ist, bleibt allerdings die Frage, was die DSE überhaupt veranlaßt, sich dieser Frage anzunehmen, außer für größere Liberalisierung im Fremdenverkehr zu sorgen. Tanzen, malen und singen Niemand behaupte jedenfalls, der kulturelle Einfluß sei eine Einbahnstraße. DSE–Friedrich, jüngst zu Gast auf Bali, „fühlte“ sich vor Ort „ ganz arm“: Die Leute dort hätten so wunderbar tanzen, malen und singen können. Ob Friedrich in Konsequzenz daraus jetzt mit vergleichbarem Enthusiasmus tanzen, malen und singen lernt, wie die Menschen in Indonesien nach japanischen und europäischen Autos und Fernsehserien trachten? Es mag dahingestellt bleiben, ob die DSE–Verantwortlichen sich dahinter versteckten, daß die einschlägigen Minister aus der Dritten Welt - mindestens die auf der Pressekonferenz anwesenden Mongella und Tahir - im Massen– Ferntourismus keine größeren Probleme sahen: Friedrich generös–diplomatisch: „Wir sollten nicht die intellektuellen Fähigkeiten im Süden unterschätzen“. Wenn aber ausgerechnet die Touristenminister insbesondere solcher Länder als Betroffene gehört werden, deren Regierungen zur Befriedigung ihres Devisenbedarfs voll auf den Tourismus setzen, sollte die DSE das Recht auf eigene Standortbestimmung wahrnehmen dürfen - wenn sie es will. Ob den Wissenschaftlern aus Berlin ein Auge aufgegangen ist bei der Einlage des argentinischen Tourismus–Ministers? Als die Show nahezu vorbei und der Journalistenblock fast weggesteckt war, meldete sich der Südamerikaner (“Im here as a friend“) zu Wort, der als Teilnehmer seitens der DSE gar nicht vorgesehen war: „Drei Millionen Quadratkilometer Land, rund 1.000 Kilometer Küste, all das steht Ihnen zur Verfügung, die Sicherheitsprobleme sind überwunden, wir würden Sie alle gerne mit offenen Armen empfangen“ usw.. Viel hätte nicht gefehlt, und er hätte noch Plakate aus Buenos Aires an die Wand genagelt. Das wäre allerdings nicht das einzige gewesen, weshalb die Pressekonferenz des Entwicklungsinstitutes auch genausogut als veritable PR–Veranstaltung in den ITB–Hallen unter dem Funkturm hätte stattfinden können - für mehr Massentourismus in die Dritte Welt.
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