: Herausforderung an Berlins Kalte Krieger
■ Die Einladung von Berlins Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen an Erich Honecker anläßlich der 750–Jahr–Feier fordert seine Partei–Rechte heraus / Ex–Innensenator Heinrich Lummer hält am eisernen Credo der „gefallenen Mauer“ fest
Aus Berlin Mechthild Küpper
Am Abend des Dienstages, an dem Eberhard Diepgen endlich seine Gegeneinladung an Erich Honecker losgeworden war, holte sich Berlins CDU–Nachwuchs den Berliner Bonn–Abgeordneten Heinrich Lummer auf ihre Landeskonferenz, mit dem Thema Deutschlandpolitik. Lummer hielt, was diese Einladung versprach. Er forderte die Jungchristen auf, den „Mut“ Diepgens zu unterstützen, mit der anderen Seite reden zu wollen. Zuvor jedoch ließ er verlautbaren, daß die „drüben“ meistens versucht hätten, „uns über den Tisch zu ziehen, uns zu leimen“. Und im gleichen Atemzug unterstellte er Diepgen, was diesem nicht im Traum einfallen würde: der habe „seine eigene politische Existenz an solche Versuche geknüpft“. Es wird nicht an Heinrich Lummer und schon gar nicht an der Jungen Union liegen, wenn Diepgens Aufstieg als moderner CDU–Politiker tatsächlich an der Besuchsfrage hängenbleibt. Als im Oktober die Einladung Erich Honeckers kam, am Staatsakt der DDR zum 750. Geburtstag Berlins teilzunehmen, machte der Regierende Bürgermeister rasch klar, daß ihm viel an der Visite liegt. Selbsternannte Statusexperten von der Springerpresse bis zur Schüler Union rieten strengstens ab, der DDR die höheren Weihen solchen Westbesuchs zu verleihen. Während der Regierende noch in Washington weilte, fielen ihm letzte Woche 60 ältere CDU– Semester in den Rücken, indem sie organisiert Einwände vortrugen. Ex–Innensenator Lummer war im Geiste unter ihnen. Der derzeitige Innensenator Kewenig allerdings, „Volljurist und Völkerrechtler“, wie er betont, sah keine rechtlichen Statusprobleme. Die Berliner CDU wird oft als CSU des Nordens bezeichnet. Die hiesige Junge Union müßte in ihrer Mehrheit nach dieser Logik mindestens als „Republikaner“ etikettiert werden. Noch im letzten Jahr machte die JU Berlin nur mit rechtsradikalen Vorfällen von sich reden. Die oft eingeforderte „Eigenständigkeit“ des Nachwuchses dokumentierte sich hier eher in der Nähe zu rechtsextremen Finsterlingen als in einer Oppositionsrolle. Richtig verstanden fühlt sich die JU - so am Dienstag abend ein Sprecher - nur noch von Ex–Senator Lummer und von dem blassen Justiz– und Bundessenator Rupert Scholz. Die Mehrheit der Jungen Union ist allerdings in Opposition zum herrschenden, „Betonriege“ genannten Regierungsflügel der CDU, der die Parteirechte immer weniger im Griff hat. Die JU, so zeigte die ostentative Einladung an Lummer, will den Anschluß an das Diepgen–Konzept einer modernen Volkspartei noch vertagen. Man hört lieber Kohl über die KZ in der DDR reden als Diepgen über die Notwendigkeit des Dialogs mit denen da „drüben“. Donnernder Applaus begrüßte „unsern Heinrich Lummer“. Der gab sich zivilisiert und pädagogisch. Er führte seine Zuhörer über Hegel und Christian Morgenstern zu Karl Jaspers– und Sebastian Haffner–Zitaten - und tief in den kalten Krieg hinein. Nicht Stalin–Gorbatschow war sein Thema, sondern Chruschtschow, nicht die Gemeinsamkeiten, die es hinter der Mauer zu entdecken gäbe, sondern der Schwur, „die Mauer muß fallen“. Die neuen Töne aus Gorbatschows Mund, so warnte Lummer, seien nicht dem Wunsch nach Demokratie, sondern dem nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zuzuschreiben, und die brauche nun mal Freiheit. Heinrich Lummer versteht die Gunst der Stunde. Warum „ausgerechnet jetzt“ der Regierende Bürgermeister von Berlin (West) „wichtige Grundsatzpositionen aufgeben“ wolle, „wenn drüben etwas in Bewegung gerät“, ist dem gescheiterten Innensenator mit dem Faible für Außenpolitik vollends schleierhaft. Jetzt sei es an der Zeit, Forderungen zu stellen: Gewaltfreiheit nicht nur an den Grenzen nach 1945, sondern auch nach innen für alle Ostblockstaaten, und Respekt vor den Menschenrechten. „Langen Atem“ müsse ein deutscher Politiker haben, erklärte er dem Jungvolk. Lummer ist seit 1960 im Geschäft. „Wo kein Wille ist, da ist auch kein Weg“, rief er in den Applaus der Jungunionisten. Er meinte den Willen zur Widervereinigung. Der Antrag eines liberalen Kreisverbands (im Parteijargon „sowjetisch Wilmersdorf“ genannt), den Regierenden Bürgermeister auf seinem gewollten Weg nach Ost–Berlin und in seiner Politik des Dialogs zu unterstützen, wurde schon beim Verlesen ausgebuht. Diepgen sagt, er will die „Mauer erträglicher“ machen. Lummer, und die Mehrheit der Jungen Union mit ihm halten am ehernen Credo fest, das vor jeder Sitzung des Abgeordnetenhauses gebetet wird: „Ich bekunde unseren unbeugsamen Willen, daß die Mauer fallen (...) muß“. Was ist schon eine gefallene Mauer gegen eine erträglicher gemachte?
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