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DDR–Glasnost mit Widersprüchen

■ In der DDR–Kulturpolitik geht es momentan drunter und drüber / Literaten dürfen plötzlich publizieren oder gar in den Westen reisen / Anderen wird dies verweigert / Die DDR–Führung tut sich nach Jahren des Breschnew–Epigonentums schwer mit Umdenken

Aus Berlin F. Graete

Von „wichtigen Impulsen“ weiß der DDR–Schriftsteller Heiner Müller zu berichten, die von „den Veränderungen in der Sowjetunion“ auch für seine Arbeit ausgehen. Müller geht davon aus, daß es künftig eher möglich wird, sich mit den Verhältnissen und der Geschichte der DDR auseinanderzusetzen. Auf der Klimow–Werkschau war „Müller Deutschland“ im Dauerstreß - kaum ein Journalist, der von ihm nicht wissen wollte, was die DDR von Glasnost hält. „Abwarten, vieles ist da unberechenbar“, hatte er noch jüngst auf dem DDR–Theaterfestival zu verstehen gegeben. Aber: Was die Bühne betrifft, erlebt Müller unbestritten den spürbarsten Aufwind, seine einst verpönten Stücke werden aufgeführt, und mit der „Wolokolamsker Chaussee Teil 3“ steht ihm in Potsdam sogar eine Premiere bevor. Ansonsten stehen plötzlich Sartre, Shakespeare, Dario Fo oder auch Beckett auf Spielplänen in Berlin und der Republik - es scheint, daß Berührungsängste weichen, eine Entwicklung, die, wie es heißt, insbesondere der Hartnäckigkeit und Zählebigkeit mancher Theaterleute zu verdanken sei. Denn in der Kulturbürokratie geht es zur Zeit drunter und drüber. Beschlüsse werden gefaßt und wieder verworfen, aber - der Zugzwang wächst. Müller durfte in die Akademie der Künste, der Regisseur Heiner Carow, noch mit seinem Film „So viele Träume“ auf der Berlinale, trotz Vorankündigung nicht. Ähnlich erging es Volker Braun in Darmstadt, der schon auf Plakaten des PEN–Zentrums als Gast einer Lesung stand. Die Ost–Berliner Autorin Monika Maron kam nach langen Mühen, Volker Braun kam nicht. Der Schluß liegt nahe, daß die DDR nicht zu viele kritische Geister auf einen Schlag im Westen haben möchte, die mit unbedachten Äußerungen das Thema Glasnost forcieren könnten. Exodus junger Künstler soll verhindert werden „Staatsbürgerliche Verantwortung“ sei Kriterium im Handeln auch von Künstlern, stellte Erich Honecker Anfang Februar vor den Kreisleitungen der SED fest. Der Parteitag hat bewußtgemacht, schreibt jüngst die Einheit, Theoriezeitschrift der SED, daß „höhere Ansprüche an die Qualität und ideologische Wirkungskraft von Kultur und Kunst zu stellen sind“, um den Frieden zu sichern und - man staune, den Sozialismus zu stärken, „vor allem durch hohes und stabiles Wirtschaftswachstum“. Kurz: positive Aufschwungbilder sind gefragt. Bildende Kunst und Literatur lassen unterschiedliche Rückschlüsse auf die Wirkung des Zauberworts „Glasnost“ zu. Dort, wo man sich jugendlich wilder und expressiver „Frei–Stil–Kunst“ gegenüber aufgeschlossen zeigt, resultiert die Öffnung eher aus der Not, eine Bremse für den anhaltenden Exodus junger Künstler in den Westen zu ziehen. „Nicht viele, aber zu viele gute“ Künstler sind weg, äußern sich die Verbliebenen, besonders in der Malerei wird die Lücke deutlich verspürt. Hoffnung haben die Literaten: Selbstgedruckte Zeitschriften ohne Lizenz haben Hochkonjunktur - wenn auch ihre (vermeintlichen) Macher immer noch mit Vorladungen bei den „Organen“ rechnen müssen. Wie für den Lyriker Uwe Kolbe sind plötzlich auch für jüngere, in der DDR unveröffentlichte Autoren Westreisen in greifbare Nähe gerückt. Nicht für alle - versteht sich. Jüngst hat der 17. von 29 Autoren der Lyrik–Anthologie „Berührung ist nur eine Randerscheinung“ (herausgegeben von Sascha Anderson und Elke Erb, Rüdiger Rosenthal) beschlossen, einen Antrag auf Ausreise zu stellen. Nur fürs kleinbürgerliche Publikum gedacht? In der Musik–Szene haben plötzlich Gruppen eine „Einstufung“ erhalten, an die sie bislang im Traume nicht dachten. Vorwärts mit dem „demokratischen Konsum“. Nachteil: jetzt werden auch die Texte kontrolliert... Zahlreiche Rockgruppen aus der DDR wagten sich am Mittwoch abend zum Empfang in die bundesdeutsche Ständige Vertretung: Maffay, Karat, die Puhdies, Silly und andere neben Oskar Lafontaine. Udo Jürgens Auftritt im Friedrichstadtpalast (mit Schwarzmarktpreisen bis zu 1.000 Mark, bei Maffay „nur“ 200...) darf man kaum mit Glasnost in Verbindung sehen. Denn mit der Öffnung nach außen fürs kleinbürgerliche Publikum wird fehlende Öffnung nach innen gegenüber Intellektuellen gerne kaschiert. „Alibigeschichte“ hat Stefan Heym die angekündigte Veröffentlichung seiner „Reden an den Feind“ in der DDR bezeichnet. Mit den Rundfunkmanuskripten aus dem Zweiten Weltkrieg könne die DDR immerhin sagen, sie „habe etwas Neues von Stefan Heym gebracht“. Vorgegaukelte Glasnost? Christa Wolf darf bald ein neues Buch über Tschernobyl publizieren. Böse Zungen behaupten, das sei möglich, weil die DDR zur Zeit gern das publiziert, was die UdSSR im schlechten Licht erscheinen läßt. Denn mit den Vätern von Glasnost steht die SED nur zögerlich auf gutem Fuße, zu deutlich hat Leonid Breschnew das Denken und Handeln des DDR–Politbüros geprägt. Noch lassen die Verantwortlichen zögernd Übersetzungen neuester sowjetischer Bücher zu und haben Schwierigkeiten, sich mit neuen Filmen aus Moskau anzufreunden. Der Kinofilm „Reue“ (über die Leiden unter Stalin) wurde zurückgehalten, sogar für den Universitätsbetrieb. Und Pikantes gab auf den Filmfestspielen Gleb Panfilov ungefragt auf einer Pressekonferenz zu seinem Film „Das Thema“ zum Besten: Ausdrücklich habe die DDR „kein Kaufinteresse“ an seinem Film bekundet. Kurz darauf korrigierte Elem Klimov den Pessimismus seines Kollegen: Er ginge davon aus, daß der Film auch in der DDR gezeigt würde - man müsse nur allen Beteiligten „Zeit zum Lernen“ geben. Diese Tage sickerte durch: Die DDR hat gelernt. „Das Thema“ und Elem Klimovs Film „Abschied von Matjora“ kommen demnächst ins Programm.

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