Nur trübe Lichter für den Schwarzen Kreis

■ „Berlin wird helle“, die Auftaktveranstaltung zum Kampf gegen die Aufhebung der Mietpreisbindung, litt unter organisatorischen Problemen / Trotzdem genossen Tausende das Wiedersehen im dunklen Kreuzberg

Aus Berlin Christoph Albrecht

„Frage an den Senat: Was wollt Ihr fallen sehen - die Miete oder Eure Köpfe?“ In riesigen Buchstaben leuchtet die Frage, die mehr eine Drohung ist, über den Köpfen der Berliner von einer Hauswand. Tausende sind am Samstag abend nach Kreuzberg gekommen zur ersten großen Protest–Veranstaltung gegen die Aufhebung der Mietpreisbindung in den 500.000 Berliner Altbauwohnungen, die für den 1.1.1988 geplant ist. Pünktlich zum Beginn der lauen Jahreszeit sollten an über 100 Häuserwänden in vier Kreuzberger Straßen rund um den U–Bahnhof Schlesisches Tor Dias den Widerstand aufleuchten lassen. Lichthöfe, Lichtschleusen, Lichtaktionen mit Musik und Theater sollten einen „Lichterfrühling“ hervorzaubern, so hatte es der Berliner Mieterverein angekündigt. Doch die Frühlingsmisere dieses Jahres ging auch an diesem Projekt nicht spurlos vorbei. Als gegen 19.30 Uhr die ersten Besucher den U–Bahnhof Schlesisches Tor verließen, war weder von „Lichtern“ noch von „Frühling“ etwas zu spüren. Dunkel und frostig lag diese hinterste Ecke von Kreuzberg da. Nichts zu hören, nichts zu sehen, Ratlosigkeit machte sich breit. Einige Besucher wußten genauer Bescheid, in welchen Straßen Projektionen aufgebaut waren, und so bildete sich allmählich eine Besucherschlange, die durch das Dunkle zu dem Licht strömte. Einige hundert Meter weiter die ersten Projektionen: an einer großen Brandwand drei nebeneinander projezierte Dias mit einem Weißen Kreis, der hinter einem roten Tuch verschwindet. „Weißer Kreis - rotes Tuch für die Mieter“, steht als Erläuterung für diejenigen geschrieben, denen sich die Symbolik nicht erschlossen hat. Gegen 20 Uhr sind die Straßen voller Menschen. Viele „Hallos“ zeigen, daß zumindest der zweite Aspekt, den die Planer des Spektakels erhofft hatten, eintritt: Die Kommunikation unter den Leuten läuft hervorragend. Ganz anders die Stimmung im Büro der Organisatoren der „Berlin–wird–helle“–Aktion: Barbara Petersen und Kurt Jotter von der Gruppe FDGÖ (Foto, Design, Grafik, Öffentlichkeitsarbeit), die im Auftrag des Mietervereins das Konzept entwickelt und die Organisation übernommen haben, versuchen zu retten, was zu retten ist, nachdem sich heraus stellte, daß die Technik nicht klappt und an den Wänden nurmehr dunkle Schatten statt hellem Protest zu erkennen war. „Kurt, wo ist die 500–Watt–Kanone?“, brüllt eine sichtlich genervte Barbara durch das Büro. Noch immer liegen Dutzende von Projektoren im Raum, stehen Leute herum, die helfen wollen, aber nicht genau wissen, wann wo was wie warum gemacht werden muß. Genau die gleiche Situation wie um 15 Uhr, als mir ein sichtlich übermüdeter Kurt Jotter sagte: „Noch zwei Wochen, und das wäre ein Superding geworden. Jetzt müssen wir halt viele Abstriche machen. Die Sache ist ausgeufert“. An seinen eingefallenen Wangen ist deutlich zu sehen, daß die beiden mit einigen Helfern in den Tagen davor bis morgens um 5 Uhr gearbeitet haben und um 10 Uhr wieder auf der Matte standen. In der Kirche der evangelischen Tabor–Gemeinde, die sich genauso wie die katholische Liebfrauen–Gemeinde dem Mieterprotest angeschlossen und ihre Gemeinderäume für die Aktion geöffnet hat, wärmen sich unterdessen viele Besucher auf. Am Eingang steht der Geschäftsführer des Mietervereins, Hartmann Vetter, und versucht, über ein Walkie–Talkie einen Überblick zu bekommen, welchen Verlauf der Abend noch nehmen könnte. Im Kirchenraum läuft auf einem Kassettenrekorder die Endlosschlaufe eines „Orgelkonzert mit Synthesizer“, das auf die ratlosen Leute zumindest einen beruhigenden Einfluß hat. Auf die Frage, was noch geboten werde, antwortet Pfarrer Dieter Tag, ihm sei eine Ton–Dia–Show angekündigt worden, die ab 19.30 Uhr vorgeführt werden sollte, ob daraus noch was werde - um 20.30 Uhr weiß er es nicht. Besucher in der Taborkirche berichten, daß in der Liebfrauenkirche die Ton–Dia–Show wie geplant laufe und das Publikum sich bestens unterhalten fühle. Gegen 21 Uhr sind die Straßen voller Menschen, es sind einige neue Projektionen hinzugekommen, die Kirche dient als Wärmehalle, doch an den Informationsblättern, die der Mieterverein am Eingang anbietet, besteht kein großes Interesse. Schließlich, eine halbe Stunde später, kommen Kurt Jotter, Barbara Petersen und Hartmann Vetter ins „Pressebüro“, ein umfunktionierter Nebenraum der Tabor– Gemeinde. An sich sollten auch Künstler dabei sein, die sich an dem mit 12.000 Mark dotierten Wettbewerb für Entwürfe und Lichtaktionen der „Berlin–wird– helle“–Aktion beteiligt hatten. Sie fehlen, stattdessen berichten die Organisatoren über die vielen Hindernisse, die zu dem stark abgespeckten Programm geführt haben. Es sind bekannte Gründe: zu wenig Geld, Leute und Zeit. „Wir haben zu lange an dem Optimalprogramm festgehalten. Zum Schluß hatten wir zwar jede Menge Helfer, aber niemanden, der sie koordinieren konnte. Für die berlinweite Aktion werden wir einfach noch ein paar Leute für eine Woche einstellen, ohne daß wir wissen, wie wir sie bezahlen können.“ Doch trotzdem sprachen Kurt Jotter und Barbara Petersen von einem Erfolg. Es sei das erste Mal, daß Licht als zentrales Medium für eine politische Aktion eingesetzt worden sei. Auch Hartmann Vetter vom Mieterverein, der die Aktion angeregt und mit 30.000 DM unterstützt hatte, ist nicht unzufrieden. „Ein paar Projektionen mehr hätte ich mir schon gewünscht, aber wichtig ist ja nicht der heutige Abend, sondern wenn vom kommenden Freitag bis zum Monatsende die Projektionen über Berlin verteilt zu sehen sein werden.“ Es ist 22.15 Uhr als die Gruppe „Ramba–Samba“ mit hunderten von Leuten in die Tabor–Kirche kommt. Innerhalb von Minuten ist der große Kirchenraum brechend voll und die lethargische Stimmung schlägt in Begeisterung um. Als später der zweite Vorsitzende des Mietervereins Edwin Massalsky von der Kanzel zur Mieterabstimmung im Mai aufruft, bekommt er höflichen Applaus. Der Einstieg in die Mieterabstimmung begann im Dunkeln. Ob den Berlinern das Licht des Schwarzen Kreises erhalten bleibt, darauf sollte man aufgrund des Verlaufs der Auftaktveranstaltung noch nicht wetten.