Thyssens Aktionäre streichen Mehrwert ein

■ Real existierender Kapitalismus in Duisburg: Das Unternehmen, das 7.500 Stahlwerker entlassen will, schüttet satte zehn Prozent Dividende an seine Anteilseigner aus / Während der Jahreshauptversammlung kam es zu Protesten empörter Stahlarbeiter

Duisburg (ap/taz) - „Eigentum verpflichtet“, mahnten rund 700 Stahlarbeiter, die sich gestern früh im strömenden Regen vor der Duisburger Mercatorhalle eingefunden hatten. Das Gerücht, daß die Thyssen AG, die in ihren Werken in Oberhausen und Hattingen mindestens 7.500 Beschäftigte entlassen will, sich bei dieser Hauptversammlung eine fette Dividende von zehn Prozent genehmigen will, hatte sie auf die Beine gebracht. Aus den Werken in Hattingen, Oberhausen und aus diversen anderen Betrieben waren die Stahlarbeiter angereist, „um keine Gelegenheit zum Protest verstreichen zu lassen“, wie ein solidari scher „Kruppianer“ in Arbeitskleidung sagte. Die Hauptversammlung der Thyssen–Aktionäre in der Duisburger Stadthalle fand unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen statt. Selbst die Chauffeure der hohen Herren mußten sich eine Leibesvisitation mit Metallsonden gefallen lassen. Auch die Pressevertreter, die der Versammlung beiwohnen durften, wurden ausgesiebt. So genügte die taz den Auswahlkriterien der Thyssen AG nicht. Der Thyssen–Pressechef Dreesbach hatte sich nicht gescheut, die dünne Ausrede von „zu wenig Sitzplätzen“ zu strapazieren. Nervöse Stimmung gab es bei den Aktionären, die sich durch Absperrungen von Polizei und Werkschutz drängeln mußten und immer wieder von wütenden Demonstranten angebrüllt wurden. Mit Lautsprecherwagen und Transparenten versuchte die nicht nur bildlich im Regen stehende Menge ihrem Protest Ausdruck zu verleihen. Während vor der Halle die Stahlarbeiter noch demonstrierten, kündigte Thyssen–Sprecher Lutz Dreesbach im Inneren schon weitere Entlassungen an. Nicht nur 5.900, sondern mindestens 7.500 Arbeitsplätze will Thyssen bis 1989 abbauen. Betroffen sind Stahlarbeiter in Oberhausen, Hattingen und Duisburg und Angestellte der Thyssen–Hauptverwaltung. Nur wenige Hundert von ihnen werden einen Ersatzarbeitsplatz im Unternehmen finden, das 1986 weltweit 128.000 Menschen beschäftigte und einen Jahresüberschuß von 370 Millionen Mark erwirtschaftete. Für Thyssen ist der Stahlbereich nur noch einer von vielen - einer noch dazu, der das Image des Unternehmens schädigt. Nicht umsonst betonte der Vorstandsvorsitzende Dieter Spethmann vor den Aktionären: „Die Dividendenfähigkeit der Thyssen AG wird durch die Ergebnisentwicklung unseres Unternehmensbereichs Stahl im laufenden Geschäftsjahr nicht beeinträchtigt.“ Thyssen steht inzwischen für Handel, Maschinenbau und Stahlverarbeitung. Nur noch ein Viertel des Thyssen–Umsatzes entfällt auf den in die roten Zahlen geratenen Unternehmensbereich Thyssen–Stahl. coka