piwik no script img

Die Kunst der Steuerzahler

■ Berliner Boulevard der Skulpturen treibt die Bürger vor die Barrikaden: Flugblätter, Demonstrationen, Menschenkette und Erinnerungsfotos

Aus Berlin Sabine Vogel

Am 13. 4. 81 kam es auf dem Kudamm zu einer spontanen Randaledemonstration - aufgrund einer von der Springerpresse lancierten Falschmeldung über den Tod des hungerstreikenden Siegurd Debus. Die Unfähigkeit der SPD, mit den Krawallen fertig zu werden, wurde - erfolgreich - als Argument der CDU bei den darauffolgenden Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus benutzt. Der Wechsel vom sozialen Engagement zum Kunstschaffen bewirkte u.a. eine Umgestaltung des Kurfürstendamms vom Demo– zum Skulpturenboulevard (Stichwort: soziale Plastik!). Damals war das „Schaufenster des Westens“ in Scherben gelegt worden, jetzt wird es mit Kunstwerken bestückt. Als Auftakt zur 750–Jahresfeier der Stadt läßt der Kultursenat für 1,8 Millionen sieben Objekte dort aufstellen. Das erste, am Kranzlereck, besteht aus einer ins Gigantische dekonstruierten Barrikadenskulptur: ineinander verkeilte Absperrgitter, Pflastersteine (“Berliner Argumente“) und ein Einkaufswagen. „13. 4. 81“ nennt der Künstler Olaf Metzel sie - quasi als Inspirationsquellenangabe. Der elf Meter hohe, in farblicher Korrespondenz zu den Markisen des gegenüberliegenden Cafe Kranzlers gehaltene „170.000– Mark–Schrotthaufen“ trifft jedoch nicht den Geschmack des ideelen Gesamtberliners in Form des kleinen Mannes auf dem Kudamm. Als dann auch noch auf dem Rathenauplatz der Happening– Künstler Wolf Vostell zwei Cadil lacs (Baujahr 77 und 78) einbetonieren läßt, als kritisches Menetekel der Automobilgesellschaft, geht dem Bürger der Hut hoch. „Laßt Euch nicht länger foppen!“. Wortgeführt vom Bund der Steuerzahler entdecken die anliegenden Betroffenen verpönte Protestformen für sich: Flugblätter, Demonstration, Megaphon und Menschenkette. Letztere hält allerdings nicht, was sie verspricht. Sie wird auf die erste polizeiliche Bitte hin aufgelöst - nachdem man sich Zeit zum Knipsen von Erinnerungsfotos ausbedungen hatte. In einer zwei Tage zuvor vom „Neuen Berliner Kunstverein“ (NBK) als Organisator des Skulpturenboulevards veranstalteten Diskussion über „Vandalismus an Kunst im öffentlichen Raum“ hatte man sich schon vorsichtig in der Artikulation einer „Spießerästhetik“– so ein Künstler - versucht: Das ist doch keine Kunst, was diese Bildhauer da aufstellen, das ist Terror. Wolf Vostell verteidigte sich (mit einer Variante des surrealistischen Revolversatzes): „Meine Plastik ist auch ein Dokument von herrschender Antikommunikation. Natürlich ist das so, als wenn man mit dem Revolver in die Leinwand schießt; dadurch ändert man den Film nicht.“ Zwar waren sich Gegner wie Befürworter mit dem CDU–Kultursenator Hassemer einig: „Kunst muß provozieren“; aber, wie die NBK–Vorsitzende Lucie Schauer formulierte: „Auf solche Abenteuer waren wir nicht gefaßt.“ Das Abenteuer gleich um die Ecke fand am nächsten Tag statt. Den Demonstrationsaufrufen der Bürgerinitiative der Anwohner waren ca. 300 Menschen gefolgt. Im goldenen Glanz der ersten Frühlingssonnenstrahlen diskutierten sie stundenlang aufeinander los. Der Dialog mit dem Künstler wurde gesucht und gefunden, wenn auch die Gegner „frecher Steuerverschwendung“ für solche „Machwerke“ sich immer wieder die penetrante Duzerei verbitten mußten. Vostells betönernes Auto– Denkmal auf einer Verkehrsinsel des Rathenauplatzes, um den und unter dem ununterbrochen der Verkehr fließt, wurde als „entartete Kunst“ angegriffen. Eine Rednerin forderte gar, man solle sie doch in Israel aufstellen, ein anderer verlangte statt der Cadillacs deutsche Autos. Dieser Müllhaufen sei eine Zumutung, eine Schande für die Berliner, „was soll die Queen von uns denken?“ Das Dilemma, in dem sich rechtschaffene Steuerzahler und progressive Kunstbefürworter (“Ich habe nichts gegen kurze Haare, wenn sie gepflegt sind!“) gegenüberstanden und das die gewohnten Argumentationsfronten durcheinanderbrachte, wurde auch in folgendem Wortwechsel deutlich: „Wer das zu verantworten hat, gehört ins Zuchthaus“ - „Aber WIR haben die CDU–Regierung doch gar nicht gewählt.“ Nach der am Montag morgen um 06. 15 Uhr von den Ordnungshütern aufgelösten Menschenkette, die den Weiterbau der Auto–Plastik verhindern wollte, stellt sich nun die Frage, ob das überraschende Provokationspotential dieser Kunst ausreicht, um - wie die „Akademie der Künste“ in einer Stellungnahme befürchtet - „Berlin vor der gesamten Weltöffentlichkeit zu blamieren“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen