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Polnische Betriebsräte fordern Freiraum

■ Durch die in den letzten Wochen verkündeten Preiserhöhungen hat die polnische Regierung Unruhe bei den Arbeitern provoziert / Die Betriebsräte, die nach dem Verbot von Solidarnosc zugelassen wurden, vertreten heute aktiv die Arbeiter und weigern sich, die Regierungspolitik an der Basis durchzusetzen

Aus Warschau Jacek Kowalski

Wir sind in einem kleinen hellen Zimmer. Es ist schlicht möbliert und ohne Wandschmuck. 1980 gründete man hier die Betriebsorganisation von Solidarnosc in diesem mittelgroßen Staatsunternehmen. Damals gab es Plakate, Flugblätter und Walesa–Fotos an den Wänden. Heute ist es das Dienstzimmer des Betriebsrates, dessen Vorsitzender mich hier zum Gespräch empfängt. 35 Jahre ist er alt und Ingenieur. In Polen arbeiten über 6.000 Betriebsräte, in fast jedem staatlichen Unternehmen also. Ihre Aktivitäten werden vom Gesetz geregelt, das 1981 - noch zur Solidarnosc–Zeit - nach heftiger Diskussion im Parlament Sejm (“unter Erpressung“, sagte man damals in Parteikreisen) verabschiedet wurde. Aus diesem Ge setz ging dann später der Rahmen für die geplante Wirtschaftsreform hervor. „Der wichtigste Streitpunkt heute - erklärt mein Gesprächspartner im Dienstzimmer des Betriebsrates - ist die Entlassung von Bogdan Narozny, dem ehemaligen Vorsitzenden des Betriebsrates in einem kleinen Werk in Wrzesnia (unweit von Posen, d. Red.). Zwar wurde am 24.2.87 nach langen Verhandlungen vom Obersten Gerichtshof in Warschau ein für uns negatives Urteil gefällt. Wir werden aber nicht aufgeben. Wir werden Protestbriefe schreiben, nach anderen Rechtswegen suchen, an Regierung, Partei und sonstwen appellieren.“ Betriebsrat zensiert Der Fall von Bogdan Narozny hat eine längere Vorgeschichte. Der schwarzbärtige Ingenieur, mit dem ich rede, zeigt mir eine Reihe von Unterlagen und Zeitungsartikeln. Narozny wurde im März 1986 mit der Begründung fristlos entlassen, er habe es „verweigert, einer Dienstanweisung des Direktors nachzukommen“. Der Direktor hatte gefordert, daß Narozny einen Bericht aus der Arbeiterversammlung vom Schwarzen Brett entfernt, in dem der Direktor persönlich kritisiert wurde. Das Posener Wojewodschaft– Gericht entschied für den Betriebsleiter, obwohl das Oberste Gericht es im November 1985 für rechtswidrig erklärt hatte, daß die Betriebsleitung der Warschauer Halbleiterfabrik CEMI die Dokumente und Bekanntmachungen des Betriebsrates zensieren wollte. „Was für einen Sinn“, so sagt mein Gesprächspartner, „soll das ganze Gerede über Reform und Selbstverwaltung in der Wirtschaft haben, wenn man einen Betriebsrat feuern kann, wenn er Kritik übt?“ Die Reform soll nach offizieller Auffassung darin bestehen, daß die staatlichen Unternehmen immer mehr „selbständig, selbstverwaltet und selbstfinanziert“ werden. Die Bürokratie (vor allem sogenannte Zweigministerien und die Planungskommission bei der Regierung) hat sich aber behauptet und versucht erfolgreich, den relativ breiten Zuständigkeitsbereich der Räte (u.a. Mitbestimmung bei der Wahl des Direktors und der Verteilung des Gewinnes) einzuengen. So hat man versucht, verschiedene zentralistische „Vereinigungen“ oder „sozialistische Konzerne“ zu gründen, in denen die Rolle der Räte beschnitten wäre. Infolge der Proteste von betreffenden Räten sind die Pläne zum Teil gescheitert. Durch Bürokratie ausgetrickst Die Bürokratie hat aber auch zur erprobtesten Waffe aller Bürokraten in der Welt gegriffen, und zwar zum Papier: 1982–1985 wurden 330 Gesetze und 12.000 Vorschriften und Anordnungen bekanntgegeben, die das Funktionieren der Wirtschaft zu steuern haben. In diesem Papierwust kann sich natürlich niemand mehr zurechtfinden. Weiterhin versucht sie, die Existenz und Zuständigkeit der Räte einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen. „Der Fall Narozny wirft doch ein schlechtes Licht auf die Möglichkeiten der Räte, zeigt er nicht, wie wenig Möglichkeiten die Räte haben?“, frage ich zwei Vertreter eines Betriebsrates in Warschau. „Ja und nein“, antwortet der eine, „diese Sache war für die Staatsbehörde vor allem peinlich. Denn Narozny trat, nachdem er entlassen worden war, dem Provisorischen Rat von Solidarnosc in Poznan bei.“ „Narozny“, fügt der andere hinzu, „soll jetzt wieder in seinem Werk in Wrzesniea erscheinen. Man muß der Gesetzgebung, ohne Rücksicht auf tagespolitische Gegebenheiten, Geltung verschaffen. Wir werden nicht aufgeben.“ „Heißt das, die zugelassenen Betriebsräte arbeiten mit Solidarnosc zusammen?“ „Keineswegs. Narozny ist eher ein Einzelfall“, bekomme ich zur Antwort. Aber nach einiger Überlegung ergänzt der andere: „Vielleicht doch in dem Sinne, daß die Idee der Selbstverwaltung in der Solidarnocs– Zeit entwickelt wurde. Ich bin nach wie vor Anhänger von Solidarnosc. Aber in unserem Rat gibt es auch Mitglieder der Partei und der neuen Gewerkschaften. Und wir haben keine wesentlichen Streitigkeiten untereinander. In der Regel sind diejenigen Räte am aktivsten, die von Solidarnosc– Mitgliedern im jeweiligen Betrieb aktiv unterstützt werden“. Unsicherer Status Ein Untergrundaktivist, Redakteur einer illegalen Zeitung, sagt mir auf dieselbe Frage: „Unsere Einstellung zu Betriebsräten war und ist auch heute zurückhaltend. 1982/83 waren die Räte nur da zugelassen worden, wo die Behörde die Situation in einem Betrieb für normalisiert gehalten hat. Das war eine recht fragwürdige Auszeichnung. Und zugleich versuchten damals die Putschisten selber, die Entstehung der Räte zu initiieren. Sie brauchten es, um vorzutäuschen, daß auch während des Kriegszustandes die demokratische Erneuerung fortgesetzt würde. Und außerdem kann eine legale Organisation in jedem Moment unterdrückt werden, so wie die Arbeiterräte, die während des Tauwetters 1956 entstanden. Bei den Aktivitäten im Untergrund ist dies weit schwieriger“. Ich blättere in letzten Nummern des Tygodnik Robotniczy, einer legal erscheinenden Wochenzeitung, die regelmäßig Fragen der Personalmitbestimmung behandelt. Hier erfahre ich Einzelheiten von der ersten erfolgreichen Aktion der Betriebsräte, die sich landesweit durchsetzt. Im Herbst 1986 gab die Regierung ein Vorhaben bekannt, elf Gesetze zu ändern, um die Autonomie der Unternehmer und Räte einzuschrän ken. Heftig, entschieden und koordiniert wie nie zuvor, haben die Räte dagegen protestiert, im Sejm, beim Ministerpräsidenten, in vielen Resolutionen und Zeitungsartikeln, wobei sie von vielen Ökonomen und Sozialwissenschaftlern unterstützt wurden. Die Behörde hat tatsächlich auf die Einschränkung der Autonomie vorerst verzichtet. „Gorbatschow ist einfach spannend“ Ich blättere weiter im Tygodnik Robotniczy: Es gibt Artikel über Konflikte in Betrieben, über sinnlose bürokratische Anordnungen in der Wirtschaft, viel über Umweltschutz und auch einige Artikel über die neue Gorbatschow–Politik. Nach ihnen frage ich einen Ingenieur aus Warschau, der gelegentlich für die Zeitung schreibt. „Gorbatschow ist einfach spannend, und auf Dauer kann sich seine Politik auch auf unsere Lage auswirken. Eigentlich könnten wir schon heute manche Stellen aus Gorbatschow–Reden in unseren Dokumenten zitieren. Zumal diejenigen, die die Kaderpolitik betreffen. Denn wir wollen die absolute Herrschaft der Nomenklatura niederreißen, endlich die Wirtschaft entpolitisieren.“ Kann die Mitbestimmung in der Wirtschaft die polnische Patt–Situation verändern, Bewegung hin zu einer Demokratisierung schaffen? Mit dieser Frage wende ich mich an den bekannten Ökonomen Szymon Jakubowicz, der schon 1956 für die Arbeiterräte eintrat und der jetzt als einer der hervorragendsten Sachkenner in Fragen der Selbstverwaltung gilt. „Trotz mancher positiver Anzeichen“, erwidert Jakubowicz, „wäre Optimismus voreilig. Es ist leider zu befürchten, daß die Parteispitze kein klares Konzept für die Sanierung der Wirtschaft und die Umgestaltung des staatlichen Sektors hat. Daher ist ihre Politik schwankend und widerspruchsvoll, auch was die Betriebsräte betrifft. Außerdem muß ich daran erinnern, daß nur ein Teil der Räte, circa 20–30 Prozent wirklich aktiv ist, d.h. die eigene Autonomie gegenüber dem Partei–, Staats– und Wirtschaftsapparat behauptet. Dafür gibt es drei Ursachen: Erstens die schwierige Kommunikation zwischen Räten und Belegschaften. Das schwarze Brett und gelegentlich eine Sendung im Betriebsradio sind nicht ausreichend, um die ganze Belegschaft in die Arbeit der Räte zu integrieren. Zweitens: die schlechte Kommunikation der Räte untereinander. In beiden Bereichen ist der Widerstand des Staats– und Parteiapparates spürbar. Man ergreift z.B. administrative oder gar polizeiliche Maßnahmen, um die Aktivitäten zu behindern. Die dritte Ursache für die geringe Repräsentativität der Räte ist die fehlende Mitbestimmung am Arbeitsplatz selbst. Ohne Lösung dieser drei Probleme können die Räte nicht wirksam arbeiten, und es wird keinen Umbau der Wirtschaft geben.“

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