: Über die „Unmöglichkeit, im eigenen Land den Untergrund zu organisieren“
■ Die Grenzen militanter Politik in der BRD, oder: Wo liegen die Perspektiven des linken Widerstands? / Ein Diskussionspapier von Frankfurter Autonomen als Versuch, eine autonome, antiimperialistische Politik neu zu bestimmen / Die Politik der RAF - linke Selbstjustiz?
Von Oliver Tolmein
Frankfurt (taz) - In der radikalen Linken, die den Kontakt zu den antiimperialistischen Gruppen noch nicht abgebrochen hat, ist das Thema RAF ein heißes Eisen: Zwar wird der bewaffnete Kampf, wie er in der BRD geführt wird, zunehmend kritisch beurteilt, man will sich aber auch den Distanzierungsritualen, wie sie seitens der Grünen oder „geläuterter“ Altlinker praktiziert werden, nicht anschließen. Die Gemeinsamkeiten in der praktischen politischen Arbeit zwischen autonomen und antiimperialistischen Gruppen sind bei aller verschiedener Einschätzung der RAF allemal größer als die zwischen den „Legalisten“ und den „Militanten“. In dieses Diskussionsvakuum hinein stößt ein Diskussionspapier Frankfurter Autonomer, das seit einiger Zeit in der Szene kursiert und dort die Diskussion über antiimperialist Daß das Unterfangen heikel ist - die Autorinnen fürchten, von der falschen Seite vereinnahmt zu werden - macht eine vorangestellte Erklärung deutlich: „Wir lehnen den bewaffneten, antiimperialistischen Kampf nicht prinzipiell ab. Im Gegenteil: Jede revolutionäre Bewegung wird an den Punkt kommen, entweder re volutionäre Gegengewalt zu entwickeln und zu organisieren oder aber von der Gewalt des herrschenden Staatsapparates aufgerieben zu werden.“ Dann allerdings folgt, entwickelt aus einer Kritik an der „Politik der Liquidation“, eine Auseinandersetzung mit der RAF, wie sie in dieser Schärfe und Ausführlichkeit (das Papier umfaßt 30 Manuskriptseiten) aus dem militanten Spektrum bisher kaum zu lesen war. Eingestanden wird, daß die RAF als Versuch, den bewaffneten Kampf zu entwickeln, notwendig war: „Doch nun existieren 14 Jahre Erfahrungen von bewaffnetem Kampf und wir fragen uns: Wo konnte sich die Guerilla ausdehnen, wo Fuß fassen?“ Es sei völlig unklar, woran die heutige RAF zu messen sei, ob die Strategiepapiere der siebziger Jahre noch Gültigkeit für sie hätten. Deutlich geworden sei lediglich, daß es zu keiner Verankerung im Volk gekommen sei. Die in letzter Zeit propagierte Internationalisierung des Widerstands, der in der Hungerstreikerklärung 1985 von der RAF behauptete „qualitative Sprung der revolutionären Kämpfe in den NATO–Staaten in die westeuropäische Dimension“, könne die „Unmöglichkeit, im eigenen Land den Untergrund zu organisieren“, nicht verdecken. Aber nicht nur die Unfähigkeit der RAF, die eigene Situation richtig zu analysieren, wird kritisiert. Auch ihre Konstruktion „einer imperialistischen Weltordnung, die ein klares Oben und Unten hat, einen Chef, eine Zentrale, ein Ziel, viele Handlanger, Lakaien und Marionetten“, heißt es in dem Papier, sei „so märchenhaft und unwirklich wie das Gegenbild: die westeuropäische Guerillafront“. Als Ziel eines antiimperialistischen Kampfes wird dagegen gesetzt, daß „innerhalb der Widersprüchlichkeiten“ offensiv agiert werden müßte, um „den Schein imperialistischer Geschlossenheit zu zerstören, anstatt sich selber daran aufzurichten“. Im Gegensatz zur RAF meinen die Autorinnen des Kritikpapiers nicht, „daß der Imperialismus politisch ... gestorben ist“: Die Wirksamkeit des Reformismus, mit Hilfe dessen es den Herrschenden gelinge, die Volksbewegungen zu integrieren, müsse deswegen auch in einem antiimperialistischen Konzept berücksichtigt werden. Nur dann könne auch aus der Zerschlagung der Guerilla in lateinamerikanischen Ländern gelernt werden. „Wir haben in der Vergangenheit Fehler begangen. So maßen wir einer einzigen Kampfform, dem bewaffneten Kampf, zuviel Bedeutung bei; wir waren zu wenig in den Massen, in ihren gewachsenen Organisationen verankert“, werden die Tupamaros mit ihrer Erklärung vom Dezember 1985 zitiert. Die Anziehungskraft des Reformismus wird in dem Papier nicht begrüßt, sie wird aber festgestellt, um eine weiterbringende Analyse überhaupt erst zu ermöglichen. Anknüpfungspunkt ist dabei die Friedensbewegung, deren Mitglieder „nicht den Krieg bekämpfen, sondern den Frieden sichern“ wollen, weil sie, „anstatt diesen Frieden für diese Kriege verantwortlich zu machen“, an diesem Frieden in den Metropolen festhalten wollen: „Die Kluft zwischen der Wirklichkeit ihrer Kriege und der Wirklichkeit ihres Friedens läßt sich nicht militaristisch überspringen, sondern nur politisch bekämpfen.“ Das ist der Ansatzpunkt für eine Kritik der RAF–Aktionen der letzten Jahre, die „zur Unkenntlichmachung revolutionärer Politik führen“, weil sie, wie der Anschlag auf einen Parkplatz der US– Airbase, in dessen Vorfeld der GI Pimental ermordet wurde, wie eine „perfekt inszenierte counter– insurgency–Aktion des BKA“ anmuten: „Wer unterschiedslos alles Personal auf US–Territorium zum Tode verurteilt, der ist nicht revolutionär, sondern terroristisch.“ Und in einem Ergänzungspapier wird, ausgehend von der von der RAF selbst propagierten „Einheit von Theorie und Praxis“, festgestellt: „Solange die RAF die Beckurts–Ermordung aus demselben politischen und ideologischen Selbstverständnis heraus bestimmt wie die Pimental–Hinrichtung und den Airbase–Anschlag, bleibt sie für mich - als Ausdruck einer politischen Strategie - konterrevolutionär“. Zwar könne eine „Liquidation Ausdruck revolutionären Kampfs sein; wenn sie aber zur Politik an sich wird, verkommt sie zur linken Selbstjustiz“. Die Warnung vor den falschen Freunden ist ernstgemeint. Auch den „Legalisten einer friedlichen Veränderung innerhalb des Systems“, die sich „mit beiden Armen auf das Scheitern der RAF und auf die offensichtliche Erfolglosigkeit militanter Strategien der letzten zehn bis 15 Jahre“ stützen, wird eine Absage erteilt: „Das Scheitern der RAF macht den eigenen Befreiungskampf nicht gegenstandslos, wir müssen vielmehr das wann und wo endlich wieder selbst beantworten.“ Denn bei aller Kritik an der RAF bleibt die Analyse, daß eine antiimperialistische Strategie notwendig ist und der bewaffnete Kampf sinnvoll sein kann: „Das Scheitern der heutigen RAF–Politik heißt für uns nicht, den bewaffneten Kampf zu entwaffnen, sondern ihn neu zu entwickeln.“ Das könne mit Aussicht auf besseren Erfolg aber nur geschehen, und da wird die RAF– Kritik zur Selbstkritik, wenn die eigene Strategie nicht „an der Strategie des Feindes bestimmt“ wird, sondern an „den Entwicklungsprozessen von Massenbewegungen“. Da lägen die gemeinsamen Wurzeln des „Scheiterns von RAF und unserer Schwäche als autonome Bewegung“: „Auch wir machen unsere Stärke gelegentlich zu stark und zu ungenau an den materiellen Verlusten des Feindes fest und vergessen dabei, daß die größten Verluste des Feindes die sind, die nicht reparabel und ersetzbar sind (...) Kaputte fensterscheiben, brennende Wannen lassen sich ersetzen, nicht aber zerstörte Rechtsgläubigkeit und Staatsloyalität. Neben dem (zer)störenden Charakter unserer Handlungen müssen wir uns verstärkt nach dem gewinnenden Charakter unseres Vorgehens orientieren.“ Papier „Der Versuch, eine autonome, antiimperialistische Politik - neu - zu bestimmen“ ist in ausführlichen Auszügen abgedruckt in Schwarzer Faden 23, Postfach, 7031 Grafenau; 1,50 Mark
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