P O R T R A I T Umstrittener Resistance–Kämpfer

■ Der Schriftsteller Rene Hardy ist tot. Hatte er ein Idol verraten? / Er sollte im Barbie–Prozeß auftreten / Wer hatte recht - Kommunisten oder Gaullisten?

Kurz vor dem letzten Akt seiner lebenslangen Tragödie ist der Schriftsteller Rene Hardy am Montag im Alter von 75 Jahren gestorben. Sein letztmöglicher Auftritt in der Geschichte - im Prozeß gegen Klaus Barbie, der im Mai in Lyon beginnen soll - bleibt dem umstrittenen französischen Resistancekämpfer der ersten Stunde erspart. Rene Hardy nimmt das große historische Rätsel, das seine Person der Resistance gestellt hat, mit ins Grab: war er der Verräter oder nicht? Hat er den großen Jean Moulin, den ersten Vorsitzenden des nationalen Rates der Resistance, den nationalen Helden aller Franzosen, an den Schlächter von Lyon, an Klaus Barbie ausgeliefert oder nicht? Nur einer kann noch antworten: der Schlächter selbst. Er hat es auch bereits getan, als er 1972 in einem Interview Hardy als seinen Informanten bezeichnete. Hardy aber wehrte sich, versuchte Barbie in Bolivien zu stellen, doch es gelang ihm nicht. Zuvor war er in zwei Prozessen, 1947 und 1950, von dem Verdacht freigesprochen worden. Bis zu den Geschehnissen im Juni 1943 war Rene Hardy ein allseits bewunderter Resistancler. Vor allem war er effektiv. Er organisierte die sogenannte „Eisenbahn–Resistance“, Hunderte von Entgleisungen, die der deutschen Besatzungsmacht schwer zu schaffen machten. Dann aber wurde Hardy festgenommen, von Barby verhört und - der erste Verdacht - wieder freigelassen. Zwei Wochen später saß Jean Moulin in einer Falle der Gestapo. Rene Hardy war bei der Festnahme zugegen und konnte erneut entkommen - der zweite Verdacht. In der Folge leugnete Hardy bis zum Ende des Krieges sein Verhör durch Barbie und zeigte damit ein in der Resistance unverzeihliches Verhalten - der dritte und letzte Verdacht. Allen Verdächtigungen zum Trotz bestand Hardy bis heute auf seiner Unschuld. Doch nur wenige seiner Kameraden wollten ihm glauben. Der Fall Hardy ist zudem immer mehr gewesen als eine banale Geschichte des Verrats. An ihm schieden sich, wenn auch oft unter dem gemeinsamen nationalen Stolz verdeckt, die kommunistische und die gaullistische Art der Geschichtsbetrachtung, die im Nachkriegsfrankreich dominierten. Nie wurden einige Kommunisten den Verdacht los, daß man auf gaullistischer Seite das Verschwinden Moulins nicht ungern gesehen hatte, da es heißt, Moulin hätte vor Ort den kommunistischen Widerstand ganz anders gewürdigt als De Gaulle im Exil. Genau diese Wunde des französischen Resistance– Gedächtnisses will der Verteidiger von Klaus Barbie, Jacques Verges, im Prozeß von Lyon untersuchen. Verges will auf den Spuren von Barbie die französische Kollaboration verfolgen - auch in der Resistance. Das ungelöste Rätsel des Rene Hardy macht die Antwort auf Verges nicht leichter. Georg Blume