: Wieder Klage gegen Volkszählung
■ Die Klägerinnen, die 1983 das erste Volkszählungsgesetz zu Fall brachten, versuchen es wieder / Klage vor dem Verwaltungsgericht Hamburg auch wegen Verstoß gegen das Gebot zur Verhältnismäßigkeit der Mittel
Aus Hamburg Niklaus Hablützel
Dem Hamburger Verwaltungsgericht liegt jetzt eine Klage gegen das Volkszählungsgesetz vor. Sie stammt von den beiden Anwältinnen Gisela Wild und Maja Stadler– Euler, die 1983 vor dem Karlsruher Verfassungsgericht die Volkszählung zu Fall brachten. Mit diesem von ihnen erstrittenen Urteil der Verfassungsrichter ist auch ihre neue Klage begründet, die sie am Freitag einreichten. Neben einigen auch von anonymer Seite eingewandten Verstößen gegen die Pflicht zur Anonymität der Daten und das Verbot der Reidentifizierung der Befragten, haben die Anwältinnen einen bisher wenig beachteten Mangel entdeckt. Das Volkszählungsgesetz verstoße gegen einen der höchsten Verfassungsgrundsätze, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Ausdrücklich hatten 1983 die Richter dem Gesetzgeber den Auftrag erteilt, vor jeder neuen Volkszählung zu prüfen, ob nicht auch ein weniger in das „informationelle Selbstbestimmungsrecht“ eingreifendes Mittel zum Ziel führen könne. Nichts dergleichen war in den Beratungen der Bundestagsparteien geschehen. Inzwischen gibt jedoch selbst der Präsident des Statistischen Bundesamtes zu, daß bereits vier Angaben ausreichen würden: über die Existenz der Person, Geschlecht, Alter und Wohnblock. Alle anderen Daten könnten durch Stichproben und Meinungsumfragen hinlänglich genau ermittelt werden. Gisela Wild: „Diese Alternative ist nie geprüft worden!“ Aber genau das hätte geschehen müssen, denn maßgeblich für den zulässigen Eingriff in die persönlichen Daten war für das Verfassungsgericht eben jener Stand der statistischen Techniken. Und das Urteil hatte sogar für die Zukunft vorgebaut. Selbst wenn sich nachträglich herausstellen sollte, daß verhältnismäßigere, das heißt mildere Erhebungsmethoden möglich sind, sei der Gesetzgeber verpflichtet, ein bis dahin verfassungsmäßiges Erhebungsgesetz zurückzunehmen und sich auf das Notwendigste zu beschränken. In gewisser Weise ist dieses Daten–Minimierungsgebot beim seit Januar geltenden Statistikgesetz befolgt worden, das Vergleiche von statistischen Auskünften mit Verwaltungsdaten verbietet. Diese zur schnellen Wiedererkennung des befragten Bürgers führenden Eselsbrücken sind im Volkszählungsgesetz durchaus zulässig. Auch daran zeige ich, wie wenig die Volkszählung dem allein verfassungsmäßigen Gesetzesstandard entspreche, meinen die beiden Hamburgerinnen. Gisela Wild und Maja Stadler– Euler haben ihre Klage aus formellen Gründen an das Landes– Verwaltungsgericht gerichtet. Wenn sie zugelassen wird, werden sich erneut die Karlsruher Richter mit den schon einmal erfolgreichen Rechtsgründen der beiden Anwältinnen auseinandersetzen müssen. Eine der Klage beigefügte einstweilige Anordnung würde bis dahin den Versand der Volkszählungsbögen in jedem Falle stoppen.
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