„Die Linke ist rassistisch und europazentriert“

■ Der Anwalt von Klaus Barbie, Jacques Verges, sprach mit der taz über seine Prozeßstrategie / Ist Antifaschismus nur Ablenkung vom Kolonialismus ?

taz: Maitre Verges, wird der Prozeß gegen Klaus Barbie schmerzhafte Enthüllungen mit sich bringen? Verges: Er wird nur für diejenigen schmerzhaft sein, die ihr politisches oder finanzielles Kapital auf einer Lüge aufgebaut haben. Die französische Gesellschaft beruht auf einer Lüge aus der Zeit der deutschen Besatzung. Man kann hier zwar frei über Jeanne dArc und Napoleon sprechen, aber über die Zeit zwischen 1940 und 1944 darf man keine Fragen stellen. Auch in Frankreich war das Establishment zunächst vom Faschismus fasziniert, genauso wie die Intellektuellen im übrigen. Dann wurde Frankreich besetzt und die Vichy–Regierung kollaborierte mit den Deutschen. Andererseits hat es von Anfang an Widerstand gegeben, aber der war in sich ge spalten. Es ist absurd, wenn die politischen Parteien in Frankreich behaupten, der Widerstand sei in sich einig gewesen, gerade so, als ob der Klassenkampf plötzlich aufgehört hätte. Es heißt auch, die Resistance habe für humanistische Werte gekämpft. Auch das ist eine Lüge. Viele haben einen rein nationalistischen Kampf geführt. Oberst Godard zum Beispiel, der im französischen Algerienkrieg die repressivsten Methoden angewandt hat, war Leutnant der Resistance im Kampf gegen Barbie. Was haben diese Überlegungen mit der Verteidigung von Klaus Barbie zu tun? Ich weiß, daß die europäische Linke und selbst die europäischen Linksradikalen meine Verteidigung Barbies mißbilligen. Diese Linken sind rassistisch und europazentriert. Für sie sind die Morde, die in den arabischen Ländern, in Afrika oder in Asien begangen werden, bedauerliche Übergriffe. Das absolute Übel, unter dem Europa gelitten hat, ist für sie der Nazismus. Der Kolonialismus dagegen, unter dem andere Völker gelitten haben, ist nicht das absolute Übel. Auf diese Art hat Europa den Nazismus mystifiziert und entschuldigt sich gleichzeitig für die Verbrechen an der Menschheit, die anderswo begangen wurden oder heute noch begangen werden. Man reserviert das Wort Völkermord für die Juden, man spricht nicht von den Rothäuten in den USA. Die Empörung, die mir von diesen Linksradikalen entgegengebracht wird, steigert meine Verachtung für sie, weil sie sich dadurch im Namen eines Mythos an heutigen Verbrechen beteiligen. Wollen Sie damit auch das antifaschistische Bewußtsein der Linken in Frage stellen, das ja beispielsweise in Deutschland der Ausgangspunkt für progressive Veränderungsbestrebungen ist und heute dazu führt, daß man Ihre Verteidigungstaktik ablehnt? Die großen Prozesse wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit begannen Anfang der sechziger Jahre, der Eichmann– Prozeß in Jerusalem, die ersten Prozesse gegen die Wachmannschaften von Auschwitz. Das war zur Zeit des englisch–französisch– israelischen Angriffs auf Ägypten, der amerikanischen Landung in der Schweinebucht und der schlimmsten Repression in Algerien. Es ist die Zeit, in der John F. Kennedy, der große, von der westlichen Linken bewunderte Liberale, seinen Spezialkrieg in Vietnam beginnt. Durch die Prozesse wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit sollte der Westen und Israel für immer die Opferrolle einnehmen für das, was sie von 1940 bis 1945 erlitten haben. Im selben Geist ist der Barbieprozeß geplant worden. Dabei waren diese Länder nur fünf Jahre lang Opfer. Seit Jahrhunderten waren sie die Henker, und heute sind sie es wieder. Wenn man deshalb alles auf den Kampf der Linken gegen den Faschismus und für die Menschenrechte konzentriert, dann macht man es diesen Henkern nur leichter. Sprechen Sie Frankreich das Recht ab, über einen Nazitäter zu urteilen? Wer macht Barbie heute den Prozeß? Ein Staat, dessen Präsident Polizeiminister war, als der Krieg in Algerien begann. Ein Staat, dessen Präsident Justizminister war, als man in Algerien begann, die Gefangenen zu enthaupten. Doch davon wird nicht geredet. Wenn man den Prozeß gegen Klaus Barbie als politische Operation billigt, ist man auf der Seite der Kolonialisten. Deshalb fühle ich mich in meiner Haut als Verteidiger in dieser Sache sehr wohl. Sie mögen sich wohl fühlen, aber stehen Sie damit nicht allein? In Algerien stehe ich nicht allein. Weshalb ? Weil die Franzosen von neun Millionen Algeriern eine Million ermordet haben. Dagegen haben die Nazis von 45 Millionen Franzosen 200.000 umgebracht. Ohne den Nazismus verteidigen zu wollen, sage ich, daß der sozialistische französische Kolonialismus sehr viel mehr Menschen getötet hat als der Nazismus in Frankreich. Das ist die Wahrheit unserer Zeit. Man wirft Ihnen beim Vergleich solcher Verbrechen Zynismus vor. Warum fordern Sie nicht, wie es Ihre Kritiker tun, daß alle diese Verbrechen verurteilt werden müssen? Die Leute, die sagen, alle Verbrechen müssen verurteilt werden, sind Lügner. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Zweimal habe ich für algerische Familien eine Klage auf Verbrechen an der Menschlichkeit eingereicht. Beide Klagen sind vom Untersuchungsrichter abgewiesen worden. Haben Sie die französische Menschenrechtsliga protestieren gehört? Der selbe Pariser Revisionsgerichtshof, der sich auch mit dem Fall Barbie befaßt hat, hat die Klagen zurückgewiesen. Gab es da Protest? Allerdings hat der Gerichtshof zugegeben, daß in Algerien Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen wurden, diese aber amnestiert sind. Das heißt: die Verbrechen der Deutschen in Frankreich können wir nicht vergessen, aber die Verbrechen der französischen Truppen können wir mit Hilfe der Amnestie sehr wohl vergessen. Barbie hatte recht, als er sagte: „Das ist die alte Devise: Wehe den Besiegten!“ Sie behaupten immer wieder, daß die Franzosen in Algerien schlimmere Verbrechen verübt haben als die Nazis in Frankreich. Womit belegen Sie Ihre Behauptungen? In französischen Konzentrationslagern für die algerische Zivilbevölkerung sind innerhalb eines Monats mehr Kinder ermordet worden als während der ganzen deutschen Okkupation jüdische Kinder aus Frankreich deportiert und ermordet worden sind. Würden Sie genauso argumentieren, wenn Sie bei einem Barbie– Prozeß in der Bundesrepublik auftreten würden? Selbstverständlich würde ich in Bonn nicht wie in Paris reden. Ich habe bundesdeutschen Anwälten keine Lektionen zu erteilen. Ich führe diesen Prozeß in einem französischen Rahmen und vielleicht in einem weiteren Sinne im Rahmen kolonialistischer Länder des Westens. Bedauern Sie, daß Ihre Thesen in der Bundesrepublik im Sinne der revisionistischen Historiker ausgelegt werden, die die deutsche Geschichte entschulden wollen, indem sie den Nationalsozialismus mit dem Gulag und den kolonialistischen Kriegen auf eine Stufe stellen? Ich habe nichts zu bedauern. Die Wahrheit darf nicht aus nationalen Egoismen verschleiert werden. Wenn das Leute in Deutschland stört, dann stört es sie halt. Ich sehe nicht, warum ich das Martyrium von Milliarden Menschen verschweigen soll, nur weil es die Aufarbeitung der deutschen Geschichte stört. Das ist die Wahrheit unserer Zeit. Interview: Georg Blume