„Wir leben hier wie die Maulwürfe“

■ Tamilische Flüchtlinge in Südindien berichten über die Luftangriffe auf die Stadt Jaffna, Hochburg der Tamilenguerilla im Norden Sri Lankas / Die lang erwartete Endoffensive der Armee hat begonnen

Aus Madras Biggi Wolff

„Die Bevölkerung wird aufgefordert, alle Gebiete zu verlassen, die sich in der Nähe von Guerillastützpunkten befinden“, heißt es lapidar in einem Flugblatt, das vor einigen Tagen von der sirlankanischen Armee aus Hubschraubern über der Jaffna–Halbinsel abgeworfen wurde. In der Nacht zum Mittwoch wurde die Botschaft aus der Luft noch konkreter: die Truppen hätten Befehl, das Zentralkrankenhaus von Jaffna, das sich seit Wochen im Kreuzfeuer zwischen den Stellungen der Guerilla und denen der Regierungsstreitkräfte befindet, zu zerstören. Seitdem zweifelt in der fast nur von Tamilen bewohnten Stadt niemand mehr daran, daß die Endoffensive der Armee begonnen hat. Die Regierung hatte den Befehl zum Großangriff mehrfach hinausgezögert, weil die kleine und dichtbesiedelte Halbinsel nur mit großen Opfern unter der Zivilbevölkerung zurückerobert werden kann. Berichten der tamilischen Guerillagruppen LTTE und EROS zufolge, die in Jaffna ihre Hochburg haben, wird die Stadt seit zwei Tagen von allen sechs Armeelagern der Halbinsel aus mit Granaten und Artillerie beschossen. Allein von der alten Festung in unmittelbarer Nähe des Krankenhauses im Stadtzentrum seien innerhalb einer Stunde 25 Granaten abgefeuert worden. Die lokale Presse meldete, die Stadt sei offiziell zur Kriegszone erklärt worden, nachdem der srilankanische Präsident Jayewardene am Dienstag geäußert hatte, was immer die Armee zur Rückeroberung des seit Monaten von den Rebellen kontrollierten Gebietes unternehme, werde von der Regierung gedeckt. Bodentruppen, Luftwaffe und Marine agieren gemeinsam. Soldaten und Guerilla liefern sich an vielen Stellen offene Gefechte, die Marine sorgt über die Küstendörfer im äußersten Norden der Halb insel für Nachschub. An den Luftangriffen sollen nach Aussagen von Amerikanern und der Guerilla auch Piloten des britischen Söldneragentur Keeny Meeny Services beteiligt sein, die der lankanischen Armee offiziell nur bei der Ausbildung helfen. Die Verkehrsverbindungen in den Süden der Insel sind seit Tagen unterbrochen, da auch am „Elephant Pass“, der schmalen Verbindungsstrasse zur Halbinsel, gekämpft wird. Tausende von Flüchtenden sind deshalb über die See geflüchtet. Einige der wenigen, denen vor dem Ausbruch der offenen Kämpfe noch die Flucht über Colombo nach Südindien gelang , der 27–jährige Vigneswaran, berichtete Anfang der Woche auf Initiative der LTTE in Madras über das Leben der belagerten Metropole: „Jeden Tag werden mindestens zehn bis 15 Menschen durch Bomben oder Granaten umgebracht. Vor zehn Tagen haben wir so die zehnköpfige Familie meiner Tante beerdigt. Meine Geschwister sind seit drei Monaten nicht mehr zur Schule oder zur Universität gegangen, die meisten Ausbildungseinrichtungen sind geschlossen. Um zu überleben, graben sich die Menschen wie die Maulwürfe in die Erde ein. Jede Familie hat eine Grube in der Nähe ihres Hauses ausgehoben, einen Meter unter der Oberfläche und dann drei Meter tief. Sobald wir das Geräusch von Hubschraubern oder Flugzeugen hören, stürzen wir in die Gruben, in denen wir oft Stunden verbringen. Selbst Babys wurden dort entbunden. Das Stadtzentrum gleicht einer Geisterstadt. Privathäuser und Geschäfte sind weitgehend geräumt worden. In einem Kilometer Entfernung um das Armeelager gibt es nur noch die Guerilla und das Krankenhaus. Jetzt muß ich Geld zusammenbekommen, um meine Schwestern aus Jaffna herauszuholen. Meine zwei Brüder kämpfen bei den Tigers.“ Unabhängige Informationen darüber, wie die Bevölkerung zur Guerilla steht, sind unter diesen Umständen kaum zu bekommen. Wer aus Geldmangel oder anderen Gründen nicht aus Jaffna weggehen kann, so lautet aber die übereinstimmende Aussage von Vigneswaran und anderen, hofft, daß Indien die bedrängte Halbinsel durch eine Invasion von der See her rettet - eine auch von tamilischen Gruppen in Südindien diskutierte Lösung, die bei der Zentralregierung aus außenpolitischen Erwägungen aber auf wenig Gegenliebe stößt. Dennoch zeigen viele Detailbeobachtungen, daß die Bevölkerung von Jaffna die Stadt nicht aufgegeben hat. Religiöse Rituale erleben neuen Aufschwung, viele Menschen suchen nachts in den Hindutempeln Schutz und allenthalben wird Geld für den Bau neuer Gebetsstätten gesammelt.