Proteste gegen Postbeschlagnahme

■ Gewerkschaftlich organisierte Richter und Staatsanwälte und die Humanistische Union kritisieren die Postbeschlagnahme bei Vobo–Sammelstellen und bei der taz / Ein Fall für den Bundestagsausschuß?

Von Petra Bornhöft

Berlin (taz) - Auf heftigen Protest ist die dreitägige Beschlagnahme von Briefsendungen der Alternativen Liste (AL) Berlin, 120 lokaler „Altpapiersammelstellen“ und der taz gestoßen. Der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Post– und Fernmeldewesen, Peter Paterna (SPD), kündigte an, den Fall mit dem Vorsitzenden des sogenannten G–10– Ausschusses zu besprechen. Dieser Ausschuß ist für die Überprüfung von Eingriffen in das Postgeheimnis zuständig. Im Rahmen der Beschlagnahmeaktion hatte das Amtsgericht Berlin–Tiergarten auf Antrag der Staatsanwaltschaft von Montag bis Mittwoch mindestens 850 Sendungen anhalten lassen. Daß dabei längst nicht nur Post in Sachen Volkszählung gestoppt wurde, beweisen 18 geöffnete Briefe, die der taz gestern wieder ausgehändigt wurden. Darunter befinden sich Bewerbungsunterlagen, Artikel für die Kulturredaktion, Karikaturen, Antworten aus der taz– Leserumfrage ebenso wie Briefe, die auf dem Umschlag einen Redakteur als Adressaten nennen. Heftige Kritik übten am Freitag auch in der Gewerkschaft ÖTV organisierte Richter und Staatsanwälte und die Humanistische Union. Das Postgeheimnis sei als Grundrecht geschützt, unterstrich die ÖTV–Fachgruppe der Juristen. Bei der Beschlagnahme handele es sich um eine „bedenkliche Überreaktion“, die in keinem Verhältnis zu einem Aufruf zu Ordnungswidrigkeiten stehe. Auch wenn zum Abschneiden der Kennziffern aufgerufen worden sei, scheide im strafrechtlichen Sinne eine Sachbeschädigung aus. Mit diesem Vorwurf war der Be schlagnahmebeschluß, der auch gestern den Betroffenen nicht vorlag, begründet worden. Die Humanistische Union, deren Post auch beschlagnahmt worden war, verwahrte sich ebenfalls gegen die Aufhebung des Briefgeheimnisses: Offenbar seien in Berlin „alle Mittel recht, um den Gehorsam der Bevölkerung zu erzwingen“. Im Gespräch mit der taz kündigte der SPD–Bundestagsabgeordnete Peter Paterna an, er werde „alles tun, um den ungeheuerlichen Vorfall aufzuklären“. Paterna ist einer von fünf Abgeordneten im sog. G–10–Ausschuß. Am Montag will Paterna den Vorfall dem Vorsitzenden des Ausschusses, MdB Helmuth Becker, vorlegen. Unterdessen ist zu bezweifeln, daß die angeblich 15 einbehaltenen taz–Briefe ausschließlich leere Volkszählungsbögen beinhalteten. Die taz, die öffentlich erklärte, sie leite derartige Post nicht weiter, bekam bislang pro Tag höchstens ein oder zwei solcher Bögen. Während der materielle Erfolg der Beschlagnahme als mäßig zu bezeichnen ist und die Gesamtzahlen der bei VoBo–Initiativen eingegangenen leeren Fragebögen steigende Tendenz aufweisen, vermutete Waltraud Schoppe, MdB der Grünen, auf dem „Realotreffen“ in Frankfurt, der Boykott werde weniger befolgt als erwartet. Schoppe soll ihre Partei aufgefordert haben, Boykotteuren die Möglichkeit zu geben, „den Boykott ohne Gesichtsverlust zu beenden“. Gründe für die relativ niedrigen Zahlen sehen die VoBo–Gruppen vor allem in Zählschwierigkeiten in den eigenen Reihen. Außerdem seien fünf Tage nach dem Stichtag noch immer nicht alle Bögen verteilt. So haben in Hannover z.B. von 3.100 etwa 500 Zähler das Handtuch geworfen.