: Frauen sind keine Sozialfälle
■ Quotierung im öffentlichen Dienst hält der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Ernst Benda für machbar und legitim / Dabei beruft er sich auf das Prinzip der Sozialstaatlichkeit / Aber nur der Bezug auf den Gleichberechtigungsgrundsatz könnte die Förderung von Frauen verfassungsrechtlich legitimieren
Von Vera Slupik
Die Leitstelle zur Gleichstellung der Frau in Hamburg hat kürzlich das von ihr in Auftrag gegebene Gutachten des früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts und jetzigen Hochschullehrers Ernst Benda zur Verfassungsmäßigkeit einer Quotierung von Erwerbsplätzen im öffentlichen Dienst zugunsten von Frauen veröffentlicht. Das Gutachten beschäftigt sich auf breiter Ebene mit der „Notwendigkeit und Möglichkeit positiver Aktionen zugunsten von Frauen im öffentlichen Dienst“. In der gesamten Bundesrepublik sind Frauen insbesondere bei Stellen des höheren Dienstes, vor allem in Leitungs– und Spitzenpositionen unterrepräsentiert. Trotz des Verbots der Diskriminierung bei Einstellung und Beförderung, trotz Diskussion über Benachteiligung und Richtlinien bzw. Leitlinien in allen Bundesländern ist der Anteil der Frauen in machtnahen Bereichen der öffentlichen Verwaltung ebenso wie in der Wirtschaft auffällig klein. Auch das arbeitsrechtliche EG–Anpassungsgesetz zur Gleichbehandlung von Frauen und Männern, die damit verbundenen öffentlichen Diskussionen und der Entwurf der Grünen zu einem Antidiskriminierungsgesetz haben daran nichts ändern können. Taktische Meisterleistung Die Idee, Benda, der früher auch Bundesinnenminister der CDU war, mit der Begutachtung der derzeit existierenden Förderungsrichtlinien zu betrauen, ist auf den ersten Blick eine taktische Meisterleistung. Waren es nicht zu Zeiten der sozialliberalen Koalition in Bonn eher konservative Rechtswissenschaftler, die zwar ein Recht des Staates auf Herstellung realer Chancengleichheit aus Artikel 3 Abs. 2 Grundgesetz (“Männer und Frauen sind gleichberechtigt“) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip ableitete, bei der Frage jedoch, ob Frauen bei gleicher Qualifikation bei Einstellung und Beförderung den Männern vorgezogen werden dürfen, ablehnend bis zurückhaltend argumentierten? So zurückhaltend, daß praktisch eine Quotierung zugunsten der Frauen und kontinuierlich begünstigende Einstellungspraxis im Vergleich zur Gruppe der Männer wegen der rechtlichen Restriktionen gar nicht möglich gewesen wäre ?! Daß Benda diesen Punkt genau sieht und ihm argumentativ kritisch begegnet, ist das wichtigste Ergebnis des Gutachtens. Er hält Quotierung für verfassungsrechtlich machbar und legitim. Zwiespältiges Gutachten Warum diese Untersuchung aber ansonsten - auch unter dem Gesichtspunkt ihrer Verwendung für die sehr aktive und vergleichsweise durchsetzungsfähigste Gleichstellungsstelle in der Bundesrepublik - durchaus zwiespältig zu bewerten ist, erschließt sich nur bei genauer Darlegung der rechtlichen Problematik. In der Bundesrepublik ist sowohl in der Öffentlichkeit wie in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft die Auffassung weit verbreitet, daß der Gleichberechtigungsgrundsatz des Grundgesetzes Frauen und Männer im Recht tatsächlich gleichgestellt. Demzufolge sei „der Kampf um die Regelungen zur rechtlichen Gleichstellung der Frau (...) heute seit langem beendet“, wie das Gutachten feststellt. Davon kann jedoch nicht die Rede sein, denn die Verfassung ist nach wie vor nicht in die Rechtswirklichkeit umgesetzt. Nicht nur die sexistische Rechtssprache, die immer noch den offenbar geschlechtslosen „Gesamtmenschen“ meint, spricht dagegen. Auch spricht die Tatsache dagegen, daß nach wie vor in einer Vielzahl rechtlicher Regelungen explizit zwischen den Geschlechtern unterschieden wird - und zwar im Text wie in der Auslegung - (sogenannte direkte Diskriminierung). So gibt es zum Beispiel im Arbeitsschutzgesetz diskriminierende Arbeitszeitregelungen für Frauen oder ist in Bayern Unterricht in Säuglingspflege explizit nur für Mädchen vorgeschrieben. Abenteuerliche Behauptungen Das stärkste Argument gegen Bendas Auffassung, daß der Kampf um rechtliche Gleichstellung bereits beendet sei, ist aber das der sogenannten „mittelba ren“ Diskriminierungen. Das sind solche Formen von Benachteiligung, die durch geschlechtsneutral formulierte Regelungen geschehen, zum Beispiel Höchstaltersgrenzen im öffentlichen Dienst, die Familienmütter regelmäßig nicht erfüllen können, Nachteile bei Teilzeitarbeit, diskriminierende Lohngruppenbestimmungen etc.. Dieses mittlerweile bekannte und benannte Phänomen, das auch das Bundesarbeitsgericht für rechtswidrig hält, fällt bei der von Benda vertretenen Auffassung unter den Tisch. Denn, so meine ich, der Gesetzgeber und alle anderen staatlichen Gewalten, aber auch die Tarifvertragsparteien und einzelne Arbeitgeber, sind verpflichtet, mittelbare Diskriminierung aus Gesetzen und anderen Rechtstexten zu entfernen und konkrete Rechte diskriminierungsfrei zu gestalten, eine Aufgabe von historischer Dimension, zumal wenn man sie auf Bereiche über das Arbeitsrecht hinaus bezieht. Daß es keine Diskriminierung im Recht (also auch in den Gesetzen) gibt, ist daher eine ebenso abenteuerliche wie naive Behauptung. Ebenso folgenschwer, wenngleich noch unzutreffender, ist die konkrete Bemerkung auf „direkte und offene Diskriminierung“, auf die „junge Frauen nicht mehr stoßen“ würden, „die bewußt in den öffentlichen Dienst streben oder ihm seit längerer Zeit angehören“. Dagegen sprechen eine Vielzahl wissenschaftlicher Untersuchungen, nicht zuletzt diejenigen, die von der Gleichstellungsstelle Hamburg selbst initiiert wurden. Allein die kursorische Durchsicht, erst recht aber die wissenschaftliche Auswertung von Stellenanzeigen für den öffentlichen Dienst zeigt, daß nach wie vor Frauen dort nicht angesprochen werden, bzw. die Zahl der gesetzeskonform ausgeschriebenen Stellen nicht angestiegen ist. Dagegen ist die Zahl der Umgehungen (zum Beispiel im Text der Anzeige immer von „ihm“ oder „er“ zu sprechen, gleichwohl aber als Stellenbezeichnung korrekt z. B. „Inspektorin“ auszuschreiben), vor allem im Hochschulbereich deutlich angestiegen. Ausnahmen zugunsten von Männern Um sich die eingeschränkte rechtliche Auffassung zu vergegenwärtigen: Benda sieht weder eine Pflicht des Staates, zugunsten sozialer Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern tätig zu werden, noch spricht er den Frauen ein subjektives Recht auf Förderung zu, das sie notfalls einklagen könnten. Er ist lediglich der Meinung, daß der Staat bei Einstellung oder Beförderung gleichqualifizierte Frauen Männern gegenüber bevorzugen darf, dies aber nur dann zulässig sei, wenn bei „gewichtigen Gründen“ Ausnahmen zugunsten von Männern gemacht werden. Fatalerweise im Zusammenhang mit dem frauenfeindlichen Doppelverdienerargument schreibt er: „Jedenfalls sind Fälle denkbar, in denen eine Entscheidung dem Gerechtigkeitsdenken widersprechen würde, weil die Frau nicht auf das zusätzliche Einkommen angewiesen ist, während der männliche Bewerber dringend soziale Gründe aufführen kann.“ Diese Behauptung, daß Ausnahmen aus „sozialen Gründen“ notwendig seien, führt dazu, daß der zentrale Gesichtspunkt der Frauendiskriminierung - Diskriminierung der Mehrheit der Bevölkerung und der Unmöglichkeit für die einzelne Frau, ihr auszuweichen - mit beliebigen Aspekten anderer sozialer Nachteile gegebenenfalls gleichgesetzt und damit abgewertet wird. Denn Benda leitet die Verfassungsmäßigkeit frauenfördernder Maßnahmen aus dem Sozialstaatsprinzip ab. Damit sind solche Maßnahmen für Frauen immer abzuwägen gegen die Förderung von sozial benachteiligten Personen oder Gruppen (z. B. arbeitsloser Familienvater, die Gruppe der Behinderten etc.). Benda verkennt damit die herausragende Bedeutung des Artikel 3,3 für alle Staatsgewalten. Allein eine Bezugnahme auf diesen Gleichberechtigungsgrundsatz könnte eine Bevorzugung von Frauen verfassungsrechtlich legitimieren. Kein überzeugendes Modell Auch theoretisch ist Bendas Ansatz nicht überzeugend, weil er kein Modell präsentiert, wie man alle Formen der Diskriminierung - und dazu gehört auch der Mangel an positiven Aktionen zugunsten von Frauen - verfassungsrechtlich erfassen kann. Daß bei der Auswahlentscheidung zwischen zwei gleichqualifizierten Bewerbungen der Frau der Vorzug zukommt, einzig zum Zwecke der paritätischen Repräsentation des weiblichen Geschlechts, diesem Ziel dient das Gutachten daher nur in sehr begrenzter Form, bedenkt man wie findig Männer gemeinhin sind, um ihre angestammten Positionen zu halten und auszubauen. Ein Schuß mehr Mut zur Legitimation von Frauenbevorzugung, die ja auch der amerikanische Supreme Court für zulässig gehalten hat, hätte hier gut getan. Immerhin bietet das Gutachten die Möglichkeit, über die Auslegung von „Eignung, Leistung und Befähigung“ für eine bestimmte Position des öffentlichen Dienstes die besonderen Qualitäten von Frauen stärker in der Personalauswahl zu berücksichtigen, z. B. bei Feuerwehr, Polizei und bei der Besetzung von Personalabteilungen und Personalstellen. Und außerdem - und dies liegt sicherlich in der Absicht der Hamburger Gleichstellungsstelle - bietet das Gutachten die Möglichkeit, endlich ein landesrechtliches Quotierungsgesetz zu verlangen, denn Benda hält eine gesetzliche Regelung für erforderlich, da Grundrechte berührt sind (sog. Parlamentsvorbehalt). Einem zukünftigen Gesetz ist zu wünschen, daß die Art des Verfahrens genau bestimmt wird und insbesondere die Ausnahmen exakt definiert werden. Hamburg liegt dichter an Großbritannien als fast jede andere bundesdeutsche Stadt. Daher sollte man sich an die schlechten Erfahrungen der Engländerinnen mit dem weiten Sex– Discrimination–Act–Ausnahmekatalog erinnern und präzise, jedoch gleichzeitig eng begrenzte Ausnahmen formulieren und keine Generalklausel, die ja bekanntermaßen zum Einfallstor männlicher Rechtsverwirklichung werden könnte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen