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Ein dicker Benz für Joseph Beuys

■ Die „documenta 8“ präsentiert Industriedesign als Kunst / Aus Kassel Ulf Erdmann Ziegler

Seit Freitag letzter Woche ist die achte documenta in Kassel eröffnet. Bis 20. September werden rund eine halbe Million Besucher erwartet. Zu sehen sind eine Fülle von materialaufwendigen Installationen, die sich mit zerbrechlichem postmodernem Industriedesign messen müssen. „Verwaldung statt Verwaltung“: Nach Beuysschem Motto wurden statt eines Eröffnungsakts 7.000 Eichen gepflanzt.

Documenta - vor zehn Jahren hat das Stichwort gereicht, um Freunde zum Streiten zu bringen und die schweigende Mehrheit zum Keifen. Honig, Fett und Filz: Der Mann mit dem Hut hatte den Begriff der Kunst ins Rutschen gebracht. Kassel, Fridericianum, Freitag: Ein jämmerlicher hellblauer Kleinlastwagen mit einer elend langen Ladefläche fährt vor. Darauf steht ein Bäumchen, die Wur zel versteckt in einem Würfelchen Erde. Dies ist die 7.000ste Eiche, die Joseph Beuys in Kassel von seinen Jüngern pflanzen läßt. Unter den Gaffern sind fast die Hälfte Fotografen. Die „documenta 8“ ist eröffnet. Wenige Minuten nach der Eröffnung stürmte eine lokale Frauengruppe das vor lauter Avantgarde–Ruhm nun schon ehrwürdige Fridericianum, um dem Gebäude an die hundert weitere Kunstwerke einzuverleiben: Gipsabdrücke ihrer Körper, pappdünne Torsi. MANN machte die Runde und wunderte sich: Brüste und Bäuche überall. Weil die Objekte zahlreicher waren als die Frauen, traf MANN dieselben schweren Brüste, den gleichen schwangeren Bauch in den verschiedensten Räumen wieder: bei Anselm Kiefer und Robert Longo, bei Joseph Beuys und Jan Vercruyssen. Nach ihrem Anliegen befragt, schwiegen die Kasseler Bilderstürmerinnen. Der Berichterstatter denkt sich als seine (ihre) Gründe: Der Protest richte sich nur in zweiter Linie gegen die numerische Unterrepräsentation von Frauen auf der Künstlerliste. Vor allem wende er sich gegen die geschliffene Kälte, die elegante Gelacktheit der „documenta 8“. Es ist eine Ausstellung fast ohne Maler. Skulpturen, Installationen, Video, Foto, Design: Künstlichkeit hat die Kunst auf Hochglanz gebracht. Die Widersprüche werden in industrieller Manier verdeckt: Lack drüber, Spiegel, Marmor, Plastik, Stahl und Glas. Bei der Pressekonferenz am Donnerstag letzter Woche hatten sich die Macher einig, eloquent und forsch präsentiert. Manfred Schneckenburger sieht gar nicht mal gestylt aus: Windjacke und Rucksack würden zum künstlerischen Leiter dieser „documenta“ passen. Aber reden kann er wie ein Video, und er tut es. Er vermißt die „neuen Paradigmata“ in der Kunst der achtziger Jahre und vertritt ein Konzept, das die „autobiographische Geste“ sowie die Metakunst (“Kunst über Kunst“) von der be rühmten Schau des Allerneuesten ausschließt. Was also bleibt? „Historische und gesellschaftliche Dimensionen der Kunst“ will der herrische Hausherr durch die „Ausdünnung“ (Schneckenburger) der Teilnehmerliste der Künstler auf 150 in den Gebäuden, auf den Straßen, Plätzen und in den weitläufigen Kasseler Parks vertreten sehen. Auf die Nachfrage, was denn mit der „gesellschaftlichen Dimension“ gemeint sei (– jeder dachte an 68 und wußte, daß das nicht gemeint war -), verweigert Schneckenburger die Auskunft, um dann die Orangerie, das zweite Ausstellungsgebäude, für gerade zwei Stunden freizugeben: Die Handwerker - bei weitem nicht fertig mit dem letzten Anstrich - wurden zur Mittagspause geschickt. Was in der Orangerie auffällt, ist das Design: Lampen, Stühle und Tische - postmoderner Krempel, der suggerieren will, man könne sich in der Groteske der Stilzitate einrichten. Die sensibleren und gänzlich „zwecklosen“ Gebilde der ganz jungen Künstler (vor allen anderen: Klaus Kumrow, Hermann Pitz) verschwinden im gestylten Firlefanz für die YUPPIES, die nun nach Kassel geladen sind, wenn ihnen das Vogue–Lesen zu langweilig wird. Das auffälligste Objekt ist ein Mercedes 300 CE, blaumetallic, der sich auf einer ebenfalls blaulackierten Scheibe dreht. Eine Installation? Ein Gag? Der letzte Dreh, ein „ready–made“ zu präsentieren? Im (90 Mark teuren) Katalog steht: „Mercedes Benz präsentiert Ange Leccia.“ Genauso ist es. Der Name des Künstlers ist nur noch der Vorwand, um das neueste Modell des Konzerns in einer Kunstausstellung - sogar der Kunstausstellung - einzuschleusen. Da der glänzende Hochgeschwindigkeitsfetisch vielleicht doch zu wenig ist, um nicht mißverstanden zu werden (oder vielmehr: richtig verstanden zu werden, nämlich als äußerst plumper PR–Trick), haben Schneckenburger und Konsorten (verspätet) Maki Yoshizawa, Jahrgang 1959, aus Tokio eingeladen, die die noch freien Wände des Parterre–Saals mit feinen Zeichnungen/Collagen ausgestattet hat. Die riesigen Arbeiten erinnern an technische Entwürfe und persiflieren sie zugleich: Die Mitte jeder der drei Arbeiten schmückt ein großer, aufgeklebter Propeller. Zusammengebracht mit dem Nobelauto dienen die (auf sehr japanische Art) stillen „Entwürfe“ nur noch als Schmuck. Sie verbreiten die Aura Kunst gegen den Mief des Autosalons, der dennoch das ganze Erdgeschoß jenes Gebäudeflügels beherrscht. Der Kunstbegriff, so kann ich das nur begreifen, ist mit Hilfe des Polit–Gurus Joseph Beuys in den letzten Jahren erheblich erweitert worden. Nun paßt alles hinein: Der Laie staunt und der Fachmann hüllt sich in Schweigen, wenn die Presse neugierig wird.

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