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Demonstranten und Polizei einig gegen Waldheim

■ Proteste zwischen Euphorie und Resignation / Spaltung im Vatikan: Waldheim von unterer Charge begrüßt / Beate Klarsfeld kurzfristig verhaftet / Polizei: „Warum sollen wir dem 30 km freies Geleit zum Oberintriganten in St. Peter geben?“

Aus Rom Werner Raith

„Es ist“, flucht der Maresciallo, dem nun schon zum fünften Mal sein Absperrungsseil zu Boden getrampelt worden ist, „zum Kotzen: irgendsoeinen blöden Hammel lassen die immer herein, und wir müssen die Sauerei ausbaden. Oder die Falschen verhaften...“ Letzteres wohl eher - gegen die geballte Staatsmacht nämlich, die den Flughafen Fiumicino umgibt, haben die vieltausend Demonstranten diesmal wenig einzuwenden: die Polizisten solidarisieren sich offen mit den Protestlern. Waldheim ist angesagt, und da sich sogar die italienische Regierung vor ihm demonstrativ zurückhält, sehen die Polizeiagenten „eigentlich auch gar keinen Grund, warum wir dem 30 Kilometer freies Geleit zum Oberintriganten in Sankt Peter geben sollen“, wie der Fahrer einer Polizei– Stafetta trotz seiner amtlichen Uniform knurrt. Sein notorisches Grinsen und seine Frau fest im Griff, kommt Waldheim wenig nach acht ins „VIP“–Abteil des Flughafens, wo keine Demonstranten hineindürfen - doch das Protestgeschrei ist darum um nichts geringer, die Journalisten davor brüllen genauso begeistert gegen ihn. Schon am Flughafen trübt eine erste Überraschung Waldheims Triumphgefühl: der Vatikan hat nur die dritte Garnitur zur Begrüßung geschickt: einen Unterstaatssekretärkardinal namens Martinez Somalo. Doch die Geste bedeutet wohl weniger ein Rückzieher des Papstes, ist vielmehr ein Zeichen der tiefen Spaltung innerhalb des Vatikans - Außenminister Casaroli soll sich bis hin zur Rücktrittsdrohung dem Besuch widersetzt haben. Die Stimmung vor dem Flughafen ist geteilt. Manchmal schwappt fast Euphorie über - „die Harmonie, das unglaubliche Einverständnis aller miteinander, die absolut identische Einschätzung dieses Mannes bewegt uns alle tief“, sagt Vaitel aus dem „Ghetto“ nahe dem Tiberufer, der mit einigen Demoproletariern ein Transparent an der Straße Fiumicino–Ostia mit dem Text „Nach Hitler 1936 zum zweiten Mal ein Nazi–Staatschef in Rom“ gegen den Wind verteidigt. Doch unver mittelt schlägt die Stimmung auch immer wieder um in tiefe Resignation - allen wird bewußt, wie vergeblich es ist, gegen die unglaubliche Geste des Vatikans zu protestieren. In einer für Demonstrationen sehr ungewohnten Weise reguliert sich diese Resignation dann jedoch auch wieder - plötzlich spricht jemand eines der Gebete, die wir schon am Nachmittag vor St. Peter gehört hatten, wo der aus New York angereiste Rabbi Weiss direkt unter dem Balkon der Papst– Verkündigungen ein Sit–in durchgeführt und dabei immer wieder den Spruch wiederholt hatte, der auch hier zum Slogan wird: „Die Toten der Lager können nicht mehr sprechen. Deshalb sind wir hier, um für sie zu sprechen“. Kurz nach Waldheims Abfahrt tritt die Sicherheitspolizei auf: Wer denn Frau Kahnsfeld gesehen habe. Mit Beate Klarsfelds Namen tun sich in Italien alle schwer - noch am Donnerstag schwankt im Rundfunk die Aussprache zwischen Karpfeld, Kaßfeld und Kohnberg. Doch alle wissen, wer sie ist - einer aus dem Verhaftungskommando zählt die Elemente ihres „Steckbriefs“ auf: „Wir müssen leider die Dame holen, die den Henker von Lyon gefangen und den deutschen Kanzler geohrfeigt hat...“. Es dauert natürlich nur Minuten, dann haben sie sie - und kurz darauf ist sie auch wieder frei: in ihrem Hotel ist durch Selbstentzündung ein Rauchkörper losgegangen. Die Episode ist bezeichnend - während die italienische Polizei sonst Besitzer unschuldiger Stockschirme oder von Knallfröschen schon mal für Wochen einsperrt, gibt es in diesem Fall nur Höflichkeit; demonstrativ. Und doch mischt sich neben die „Freude über eine nie gekannte Solidarität mit den Juden“, wie das in der Nacht ein Sprecher vor der Synagoge vermerkt, und die Bitterkeit über die Vergeblichkeit eines Protestes „selbst bei Ministaaten wie Österreich und den Vatikan“ (Demoproletarier–Analyse) auch allmählich ein Schuß politischer Argumentation. „Welche Einigkeit haben wir eigentlich wirklich hier“ fragt ein katholischer Priester aus San Salvador, der studienhalben in Rom lebt, „und vor allem - gegen wen?“ Die Gesichter werden, wieder einmal, lang: alle wissen, daß der Vorwurf in der Luft liegt: „Seid ihr mit derselben Entschlossenheit aus aller Welt zusammengekommen, als er Pinochet besuchte? Wart ihr genauso harmonisch, als er Präsidenten empfing, die andere Länder überfallen und totbomben?“ Die Frage bleibt in der Tiberluft hängen.

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