: Dividende in Wolfsburg Lohnstreik in Mexiko
■ Arbeiter in Puebla besetzten VW–Werk / In Wolfsburg beklagten bei der VW–Hauptversammlung die Kleinaktionäre die Spekulationsverluste des Konzerns
Von M. Kempe und J. Voges
Berlin/Wolfsburg (taz) - Einen Tag bevor am gestrigen Donnerstag in Wolfsburg die VW–Kleinaktionäre über die Verluste durch den Devisenskandal des Auto– Konzerns jammerten, haben Arbeiter im mexikanischen Puebla das dortige VW–Werk besetzt. In der Wolfsburger Stadthalle ging auch ungeachtet dessen während der Hauptversammlung am Donnerstag die Entlastung des skandalgeschädigten Vorstands reibungslos über die Bühne. Rund 8.000 der 12.000 Beschäftigten des südöstlich der Hauptstadt von Mexiko liegenden VW–Werks in Puebla zogen am Mittwoch mit Streikparolen und rot–schwarzen Fahnen auf das Fabrikgelände, um ihrer Forderung nach 100prozentiger Lohnerhöhung Nachdruck zu verleihen. Obwohl die Reallöhne in den letzten vier Jahren in Mexiko durch die horrende Inflation (1985: 80 Prozent, 1986: 110 Prozent) auf die Hälfte zusammengeschrumpft sind, hatte sich VW stur gestellt und gefordert, die Lohnverhandlungen um weitere zwei Monate aufzuschieben. In Zeitungsanzeigen hatte der Konzern bekanntgegeben, wegen der sinkenden Absatzzahlen in Mexiko könnte keine Lohnerhöhung gewährt werden. Ein Gewerkschaftsführer warf der Geschäftsführung von Volkswagen de Mexico auf einer Kundgebung vor, das Unternehmen habe absolut nichts geboten, obwohl es doch angeblich mit Gewinn arbeite. Daraufhin brachen die Arbeitervertreter am Dienstag abend die Gespräche ab und drohten mit Streik. Am Mittwoch folgte dann die Besetzung. Die Werksleitung von VW de Mexico will offensichtlich einen harten Kurs fahren. Nach Angaben der Gewerkschaft wollte das Unternehmen die Löhne sogar für das ganze laufende Jahr einfrieren. Außerdem sollen 700 Arbeiter entlassen und die Sozialleistungen wie Urlaubs– und Weihnachtsgeld um bis zu 50 Prozent herabgesetzt werden. In der letzten Woche hatte VW in seinem brasilianischen Werk Massenentlassungen angekündigt. Fortsetzung auf Seite 2 Kommentar Seite 4 Die VW–Arbeiter, die in Mexiko einen Inflationsausgleich erkämpfen wollen, kamen in der gestrigen Hauptversammlung des Konzerns in Wolfsburg nur am Rande vor. Warum nicht eine der halbausgelasteten Fertigungsstätten in Mexiko geschlossen würde, fragte Herr Schreib für die deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz gestern den Vorstand. Die Kleinaktionäre, für die dieser Verband den professionellen Lobbyismus macht, waren nach dem Devisenskandal aus Sorge um ihre Dividende so zahlreich angereist wie nicht mehr seit der Gründungsversammlung der VW–Aktiengesellschaft im Jahre 1961. Knapp 4.000 Aktionäre verfolgten gestern in der Wolfsburger Stadthalle oder per Großbildübertragung in der Sporthalle oder dem Theater der Stadt die diesjährige Hauptversammlung. Mit Aufforderungen wie: „Hauen sie doch mal auf den Tisch, Herr Dr. Hahn“ oder unbequemen Fragen nach dem Muster „Was hat den der Aufsichtsrat während der Devisenaffäre auf seinen Sitzungen getan“ versuchten die Kleinaktionäre, Vorstand und Aufsichtsrat auf den Pelz zu rücken. „Der Aufsichtsrat tut das, was er für richtig hält“, antwortete denn auch dessen Vorsitzender Karl Gustav Ratjen auf die Frage nach der Untätigkeit während der Devisenaffäre, die VW runde 480 Millionen gekostet hat. Natürlich zeigte sich der Aufsichtsrat „von den Vorkommnissen im Devisenbereich aufs tiefste betroffen“. Doch seit die Deutsche Treuhand– Gesellschaft vor einer Woche als Ergebnis ihrer Prüfung der Devisenverluste veröffentlichte, daß es keine Erkenntnisse dafür gäbe, „daß der Aufsichtsrat seine durch Gesetz und Satzung vorgeschriebenen Pflichten nicht erfüllt hat“, lag das Drehbuch für die Hauptversammlung vor. Auch der Gesamtvorstand, so konnte Ratjen das Gutachten zitieren, sei durch seine Richtlinien zum Devisenhandel seiner Plicht zur geschäftspolitischen Eingrenzung des Risikos nachgekommen. Lediglich der für Finanzen zuständige und bereits ausgeschiedene Vorständler Rolf Selowsky habe in seinem Bereich nicht für eine effiziente Kontrolle gesorgt. Er wurde vom Antrag auf Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat ausgenommen. Allein die „Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre“ verweigerte am Ende noch Aufsichtsrat und Vorstand die Entlastung. Auf die Frage nach der Situation von VW in Mexiko sagte VW– Vorstandschef Carl Hahn gestern, man habe keine Absicht, die dortigen Werke zu schließen. Es gäbe bei VW nirgendwo auf der Welt ein Management, das zur Provokation von Streiks neige. Realeinkommen der mexikanischen Arbeiter seien inflationsbedingt stark zurückgegangen. Dennoch mochte sich Hahn mit den Forderungen der streikenden Arbeiter nicht anfreunden. Dann stünde die Exportfähigkeit des mexikanischen Werkes nach Europa und den USA auf dem Spiel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen