: D O K U M E N T A T I O N „Ist dein Mut zu töten wirklich so groß?“
■ Offener Brief von Horst Mahler an den Philosophen Günther Anders Die Frage „Reicht der gewaltlose Protest?“ beantwortete der Philosoph Günther Anders in einem Beitrag (taz, 9.5. 87) mit einem klaren Nein. „Es gibt kein Alternativmittel, kein anderes als diese Drohung, wenn wir das Überleben unserer Generation und das der von uns erhofften künftigen Generationen zu sichern wünschen, als diejenigen, die darauf insistieren, die atomare Gefährdung des irdischen Lebens (gleich ob die kriegerische oderdie angeblich friedliche) fortzusetzen und grundsätzlich Stopp–Angebote abzulehnen - es gibt keine andere Alternative, als diesen Männern ausdrücklich mitzuteilen, daß sie sich nun, einer wie der andere, als Freiwild werden betrachten müssen.“ Sein Beitrag endet mit den Worten: „Wir werden nicht davor zurückscheuen, diejenigen Menschen zu töten, die aus Beschränktheit der Phantasie oder aus Blödheit des Herzens vor der Gefährdung und Tötung der Menschheit nicht zurückscheuen.“ Horst Mahler, einst ründer der RAF und trotz längst verbüßter zwölfjähriger Haftstrafe (1970 bis 1982) immer noch mit Berufsverbot als Anwalt belegt, antwortet Anders mit einem Offenen Brief und erzählt darin erstmals, wann ihn selbst der Mut zu töten verlassen hat.
Günther Anders, hättest du 1970 aufgerufen, Strauß niederzuschießen, Genscher in die Luft zu sprengen, Schmidt mit dem Hubschrauber abstürzen zu lassen, Polizeibeamte zu lynchen - du wärest für mich ein Prophet gewesen. Spät kommst du. Heute erkenne ich dich. Und du - erkennst du dich? Wo suchst du Reagan? Im Weißen Haus - nicht in dir? Hitler war der, der er war, nicht aus eigener Machtvollkommenheit. Unser Volk hat ihn zu dem gemacht. Du bist auch Hitler und Himmler. Wir alle sind es. Indem wir zuweilen einen einzelnen Menschen als unseren Führer auf den Schild erheben, veranschaulichen wir uns nur, was wir selbst auch sind. Der Mensch ist zu allem fähig. Auch du. Du bist jetzt ein Schreibtischmörder. Doch: was immer dich empört, schuld sind nicht „die Anderen“. VON DIR IST DIE REDE. Wer Brot ißt, schafft den Bäcker. Wer sich mit Plastik umgibt, nährt die Chemie– Giganten. Weil unsere Schwäche für das bequeme Leben größer ist als unsere Furcht vor künftigem Siechtum, halten wir uns Politiker, die die Gefahren hinter Lügen verbergen. Wir sind süchtig nach solchen Lügen. Deshalb ist Kohl Kanzler. Wenn du ihn tötest, was hättest du gewonnen? Warum beschwörst du die Raketen– Monster? Schließlich hat die noch niemand abgefeuert. Es genügt doch, daß der Wald stirbt; denn stirbt der Wald, stirbt auch der Mensch. Wen wirst du nicht alles töten müssen, wenn sich hier etwas ändern soll? Und mit jedem Mord werden es mehr, die sich dir in den Weg stellen. Du mußt sie alle töten. Ist dein Mut zu töten wirklich so groß? Du mußt ja siegen, wenn du nicht als Hitler II. in die Geschichte eingehen willst. Nur Sieger schreiben die Geschichtsbücher. Ich erinnere, wann mich der Mut zu töten verlassen hat. Das geschah, als sich die Landsknechte in der RAF - versessen darauf, zu töten - darüber stritten, wer von ihnen einen verdächtig gewordenen Genossen erschießen darf. Damals verhinderte Abu Hassan, der Organisator des Olympia– Massakers, was ich nicht mehr hätte verhindern können. Der „Verräter“ hat den RAF–Faschismus überlebt. Gott sei Dank! Du hast den Mund zu voll genommen. Du kannst dir einbilden, Menschen töten zu können, mit denen dich scheinbar nichts verbindet. Aber du kannst nicht mit einer Mörderbande leben - und das wäret ihr doch mit deinem Programm. Weißt du denn, was das heißt? Ihr würdet euch für die Sendboten des Neuen Menschen halten und zugleich - ein jeder im anderen - als Satan erkennen. Du würdest deine letzte Hoffnung verlieren und in Verzweiflung sterben, nicht ohne vorher die Menschheit zu verfluchen, die du doch retten wolltest. Vergangenheit und Zukunft begrenzen die Bühne, auf der wir unser Leben spielen , - ein Stück, das ohne die diabolischen Charaktere uns nicht zur Einsicht verhülfe und langweilig wäre. Kann das Wohl und Wehe der noch Ungeborenen die Rechtfertigung sein für den von dir propagierten Völkermord an den Phantasiearmen und Blödherzigen? Übersehe ich da was? Kannst du mir das erklären - in aller Öffentlichkeit? Du, Günther Anders - Philosoph und Schriftsteller, bist der Herold des spirituellen Rassismus, stehst an der Rampe und selektierst. Wer seid ihr, die ihr die Menschen töten wollt, die nach eurem Urteil die Menschheit gefährden? Wer spricht in eurer Runde die Todesurteile? Laßt ihr eine Verteidigung zu? Oh mein Gott - was ist das für eine braune Soße, die da aus deiner Feder geflossen ist! Horst Mahler, 3. Juli 1987
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen