: Kleine Karrieren im Milieu
■ „Vergnügungskultur rund um den Bülowbogen“ - eine Ausstellung zur Prostitution in Berlin / Über den fließenden Übergang vom Verkauf der Ware Frauenkörper zum Verkauf der weiblichen Arbeitskraft
Im Jahre 1909 beschäftigte sich der deutsche Reichstag mit dem Problem der Animierkneipen. Ein halbes Jahrhundert zuvor waren sie als Reaktion auf die Schließung und Verbote von Bordellen entstanden. In den Animierlokalen arbeiteten nur Frauen, die keinen Lohn erhielten und auf Trinkgelder und einen prozentualen Anteil an der Konsumtion angewiesen waren, zu der sie die Gäste animieren mußten. Die Grenze zwischen Animieren und Prost wurde auf dem Rücken der Frauen ausgetragen. Der Werbekniff hieß „frische Mädels“, die Kellnerinnen wechselten deshalb monatlich den Arbeitsplatz und zahlten jedesmal eine Vermittlerprovision an einen Agenten. Allein die „Goldkisten“, wie im Geschäftsjargon der Mädchenhändler die den höchsten Umsatz einbringenden Frauen hießen, blieben länger in einem Lokal. Angeworben wurden die jungen Mädchen oft in agrarischen und industriell unentwickelten östlichen Ländern mit dem Versprechen eines guten Arbeitsplatzes. Die Debatte des Reichstags endete mit einem wirkungslosen moralischen Appell an die Hauswirte, die Pachtverträge der Kneipen nicht zu verlängern. Ein konkretes sozialpolitisches Programm, das die Existenzgrundlage der Frauen verbessert hätte, fehlte weiterhin. Wie sehr die Versuche, durch Reglementierungen und Verbote die Prostitution abzuschaffen - oder nur aus den Augen zu schaffen - immer auf Kosten der Rechte von Frauen gingen, belegt die damalige Empfehlung des „Deutschen Vereins gegen den Mißbrauch geistiger Getränke“, der ein generelles Berufsverbot für Frauen im Gaststättengewerbe vorschlug. Am Beispiel des „Vergnügungsgewerbes rund um den Bülowbo gen“ dokumentiert jetzt eine Ausstellung in Berlin in einem Ladenlokal auf der Potsdamer Straße zwischen dem Frauencafe „Begine“ und einem neuen Sex–Kaufhaus die Entwicklung der Großstadt–Prostitution. An dem historischen Streifzug, in dem die Animierkneipen eine Epoche markieren, arbeitete Reingard Jäkl zusammen mit dem Kunstamt des Bezirks Schöneberg, betroffenen Frauen und Künstlern. Sie legten einen Schwerpunkt auf den bisher unterschätzten Stellenwert, den die Prostitution für den Einstieg der Frau in den Arbeitsmarkt hatte. Im 19. Jahrhundert blieb für eine Frau mit unehelichem Kind als einzige Einkommensmöglichkeit oft nur, den eigenen Körper als Ware zu verkaufen. Das Klischee der Huren haftet am Bild der berufstätigen Frau seit Beginn des 20. Jahrhunderts in doppelter Hinsicht: Zum einen setzte sich jede allein in der Öffentlichkeit sichtbare Frau, die zudem ein eigenes Einkommen hatte, dem Verdacht der Prostitution aus und mußte darum einen noch härteren Kampf um ihr Selbstbewußtsein aufnehmen. Zum anderen wird und wurde von Frauen in Dienstleistungsbetrieben ein einladendes, animierendes und den Wünschen des Kunden zugängliches Verhalten gefordert. Dieser sozialkritische Abriß wird mehr über Texte als über die wenigen Illustrationen vermittelt, selbst wenn es sich um Karikaturen und Bilder aus den 20er Jahren handelt, in denen die Künstler ihre Sympathie für die verachteten Frauen in der Gesellschaft ausdrücken und aus deren Perspektive ihre Kritik an der Ausbeutung des Menschen formulieren. Die Bilder erzählen zugleich davon, wie die Erotisierung und Tabuisierung des Milieus als verbotenes Hinterzimmer erst dessen Attraktivität für die Käufer ausmachte. Der Inszenierung der Heimlichkeit, den Rollenspielen von Dominas und Krankenschwestern, der Fetischisierung und der Sexualisierung von Symbolen ist der zweite, assoziativ gehaltene Teil der kleinen Ausstellung gewidmet. Durch nur spaltbreit geöffnete Türen schaut man in die Requisiten–Kämmerchen des Geschäfts, kann Anzeigen am Telefon abhören, die Adressen der BZ studieren und in den Falten eines Unterrocks pornographische Fotografien entdecken. Man erlebt sich selbst als Voyeur. Durch diese beiden unterschiedlichen Herangehensweisen, historisch–dokumentarisch und assoziativ–inszenierend, wird die Vorspiegelung einer objektiven und unbeteiligten Beobachtung von außen aufgegeben. Katrin Bettina Müller „Vergnügungsgewerbe rund um den Bülowbogen“, Potsdamer Str. 131, Di–So 12–18 Uhr, bis 16. August. Drei begleitende Veranstaltungen: 22. Juli 19 Uhr: „Die Feministin und die Prostituierte“, Diskussion nur für Frauen 6. August 19 Uhr: „Aids - Angst sucht Schuldige“. Diskussion in Zusammenarbeit mit der Abt. Gesundheitswesen Schöneberg - Aids–Beratung. 13. August 19 Uhr: Diskussion über die Ausstellung
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen