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Veltlin: Zwei Dörfer untergegangen

■ Erdrutsch nach neuen Regenfällen / Todesopfer trotz Evakuierung? / Tourismusgewerbe umgeht Absperrung

Aus Rom Werner Raith

Gespenstische Bilder aus dem Veltlin: Wo bis Dienstag früh das Dorf SantAntonio Morignone mit seinen drei Dutzend Häusern und dem grazilen Kirchturm stand, breitet sich nun ein See aus; die Hänge sind abgerutscht, eine urweltliche Stein– und Sandlandschaft umgibt das neue Becken der Adda in 1.200 Meter. Daß neue Regenfälle just in diesem Gebiet starke Oberflächenbewegungen hervorrufen würden, hatten die Geologen schon nach der Katastrophe der Vorwoche vorhergesagt; das Gebiet war daher völlig evakuiert, das Betreten streng verboten worden. Dennoch mußte der noch amtierende Zivilschutzminister Zamberletti kleinlaut zugeben, daß außer einem sofort nach der neuen Schlammlawine gefundenen Toten und acht Verletzten noch mehr als zwei Dutzend Personen vermißt werden - zum größten Teil Angehörige von Baufirmen, die bereits wieder in das Gebiet eingerückt waren, obwohl die Gefährdung allseits bekannt war. Hinter der verantwortungslosen Aktion vermuten oppositionelle Umweltschützer das Tourismusgewerbe, das unbedingt wenigstens noch einen Teil der Saison retten wollte und daher auf Rekonstruktion der Zufahrten drängte. Ob sich unter den Wasser– und Schlammassen auch noch andere Personen befinden, ist ungeklärt - Minister Zamberletti mußte zugeben, daß unter Umständen „verschiedene Hausbesitzer heimlich in ihre Häuser zurückgekehrt waren“. Die Grünen im italienischen Parlament und Angehörige der Democrazia Proletaria haben inzwischen Strafanzeige gegen den Zivilschutzminister wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung gestellt. Der neue Ministerpräsident Goria hat, wohl auch aufgrund der neuen Katastrophe, seinen Parteifreund auch nicht mehr ins Kabinett aufgenommen.

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