: Die Polizei - sein Freund und Gärtner
■ In Heidelberg muß sich der ehemalige Polizeidirektor wegen Untreue und Steuerhinterziehung verantworten / Statt Streifendienst Rasenmähen und Betonierarbeiten im Domizil des Chefs / „Wenn einer für die Sicherheit der Allgemeinheit Leib und Leben riskiert, darf der Staat nicht mit Pfennigbeträgen sparen“
Aus Heidelberg Felix Kurz
Werner Kohler (57) sitzt in sich zusammengesunken auf der Anklagebank. Nun dauert der Prozeß gegen ihn schon 17 Verhandlungstage, und noch immer bleibt der Heidelberger Staatsanwalt Heister bei seinem schweren Vorwurf der Untreue. Der ehemals leitende Polizeidirektor soll, so die Staatsanwaltschaft, ihm untergebene Beamte für seine privaten Zwecke eingesetzt haben und dadurch dem Land Baden–Württemberg in der Zeit von 1977 bis Juli 85 laut Anklageschrift einen Schaden von rund 290.000 DM zugefügt haben. Zur Zeit ist der Angeklagte vom Dienst suspendiert. Neun Jahre lang aber war er Heidelbergs unumschränkter Polizeichef, bei Beamten und Ganoven gleichermaßen gefürchtet. Symbolfigur des Repressionsapparates Werner Kohler, der sich vom einfachen Polizisten in den Rang eines leitenden Polizeidirektors hochdiente, trug nicht umsonst den Spitznamen „Napoleon“. Zunächst wurde er 1972 Leiter der Schutzpolizei in Heidelberg - vor allem wegen seines „guten Schwungs“ wie der Landespolizeipräsident a. D., Heinz Gericke lächelnd berichtete. Kohler, von kräftiger Statur, war der gewünscht scharfe Schupo, der für Ruhe sorgte. Einer, der den Demonstranten klar machte, wo der Knüppel hing. In lebhafter Erinnerung blieben der Öffentlichkeit vor allem die Straßenschlachten anläßlich der Demonstrationen gegen Fahrpreiserhöhungen im Sommer 1975. Die brutalen Attacken der Polizisten trugen die Handschrift Kohlers: Regelrechte Straßenschlachten, bei denen auch die einkaufende Oma nicht ungeschoren blieb, Verfolgungsjagden durch die Hinterhöfe und Einzelhan delsgeschäfte und tagelang CS– Gasschwaden über der Altstadt. Ein Jahr später bewarb sich Kohler als Leitender Polizeidirektor. Mit Erfolg. Unterstützt wurde er dabei von einem anderen Saubermann in der Stadt, Oberbürgermeister Reinhold Zundel. Der hatte den Linken Heidelbergs ganz persönlich den Kampf angesagt. Und in der Hochzeit der Hausbesetzungen protzten der Heidelberger Oberbürgermeister Reinhold Zundel und Werner Kohler gemeinsam, „bei uns gibt es kein Haus, das länger als eine halbe Stunde besetzt bleibt“. So war das auch. Es wurde geräumt und wenn man die Wände einschlug. Prompt ging der OB denn auch im Gericht für seinen alten Kampfgefährten in Uniform als Entlastungszeuge in den Ring. Kohler und er hätten als „Symbolfiguren des Repressionsapparats“ gegolten, beschwor Zundel die Kammer. „Wir wären ein armes Land, wenn wir einem Beamten, der nicht ausgewichen ist, auch noch die privaten Fahrten nachrechnen würden.“ Demgegenüber kann die Anklageschrift akribisch nachweisen, auf welche Art und Weise der leitende Polizeidirektor Landesgelder für private Zwecke nutzte: Denn statt auf Streife schickte Kohler seine Mannen in seine Wohnung nach Eppelheim, einem Vorort Heidelbergs. Dort betonierten sie während ihrer Dienstzeit Fundamente und planierten die Außenanlage. Selbstverständlich gehörte Rasensähen und -mähen auch dazu. Nach den Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft pflanzten die Beamten Büsche und errichteten sogar eine Pergola für den Garten des Chefs von rund 1.200 Polizeibeamten. Doch damit nicht genug. Niedrige und gehobene Dienstgrade erwiesen sich als bereitwillige Elektro–Installateure bei dem Einbau von Sicherheitseinrichtungen, Gegensprechanlage und Grundstücksbe leuchtung. Kohler liebte seine Funktion und seinen Status. So ließ er sich und seine Familie nur allzugern chauffieren. Mit Chauffeur und Dienstwagen kreuzte er selbst zu einem Klassentreffen seiner ehemaligen Mitschüler in Baden–Baden auf. Das wirkt eben. Auch die Ehefrau wurde regelmäßig zum Friseur kutschiert und selbst die Kinder des Angeklagten konnten den Dienstwagen beanspruchen, wollten sie von ihren Feten abgeholt werden. Illegal, wie der Anklagevertreter meint. Ein Polizist soll sage und schreibe über die Hälfte seiner Dienstzeit als Hausmeister, Fensterputzer, Einkäufer, Blumengießer und Ehefrau–Kutscher verbracht haben. Veruntreuung - ein ungeschriebenes Recht? Niemand muckte übrigens in all den Jahren auf. Das lag wohl auch an dem Kohlerschen Naturell. Wutausbrüche bekam der Mann schon, wenn ein Streifenwagen mal schräg im Hof des Polizeipräsidiums eingeparkt war. CDU– Stadtrat und Kriminalhauptkommissar Dieter Berberich schilderte Kohler als „brutal und menschenverachtend“. Sein Führungsstil sei „absolut autoritär“ gewesen. Man habe regelrecht Angst vor ihm gehabt. Daß sich niemand von den unteren Chargen der Polizei beschwert habe, liege daran, so Berberich, daß Kohler von der LPD (Landespolizeidirektion) Rückendeckung erhalten habe. Auf das „Fingerspitzen– gefühl“ kommt es an Die Benutzung von Dienstwagen für private Angelegenheiten, schien offenbar bei der Polizei in Baden–Württemberg gang und gäbe gewesen zu sein. „Es war in der damaligen Zeit üblich, daß leitende Herren der Polizei ihre Dienstwagen auch für private Zwecke nutzten“, meinte Polizeipräsident a.D. Heinz Gericke. „Das war ein ungeschriebenes Recht, daß man das Fahrzeug auch mal für die Familie einsetzte.“ Natürlich sei es dem „Fingerspitzengefühl des einzelnen Beamten überlassen gewesen, daß kein Mißbrauch getrieben wurde“. Doch es gab auch exakte Richtlinien für den Gebrauch der Dienstwagen. „Aber wissen Sie“, belehrte Gericke den fragenden Kammervorsitzenden, Georg Weidner, „wie der Name schon sagt, Richtlinien sind eine gewisse Richtschnur, aber man nimmt sie nicht zu genau.“ Selbstverständlich hätte man gewisse Fahrten bei enger Auslegung nicht machen dürfen, gibt Gericke dann doch zu bedenken. Der Landespolizeipräsident Alfred Stümper, ebenfalls als Zeuge vernommen, sieht den Fall Kohler so: „Wenn einer für die Sicherheit der Allgemeinheit Leib und Leben riskiert, darf der Staat nicht mit Pfennigbeträgen sparen“. Doch der Heidelberger Ex–Polizeichef konnte, wenn es zu seinem Vorteil war, schon mal ganz genau rechnen. Denn auch ein Beamter mit A 16 versucht sich jährlich an seinem Einkommenssteuerbescheid. Und so setzte Werner Kohler seine Fahrten von seinem Zuhause zum Polizeipräsidium als Werbungskosten ab. Das geht zwar nur, wenn man den Weg im eigenen Fahrzeug bewältigt, aber: wer merkt das schon? Die Heidelberger Staatsanwaltschaft hats gemerkt, wodurch sich Kohler nun auch wegen Steuerhinterziehung verantworten muß. Auch Überstunden rechnete der Mann wie selbstverständlich ab. Nur konnte sich bis auf den OB, den Landespolizeipräsidenten a.D. und einem Hauptkommissar niemand erklären, wie und wann Kohler Überstunden gemacht habe. Der sei höchsten fünf bis sechs Stunden am Tag im Präsidium gewesen, erzählten übereinstimmend mehrere Zeugen. Komödienstadel Verpfiffen wurde Kohler ausgerechnet von seinem Stellvertreter. Gerd Kiau brachte es schon zum Polizeidirektor. Doch beerbt hat er seinen Ex–Boß nicht. Denn gegen Kiau ermittelten die Staatsanwälte ebenfalls. Nur als Stellvertreter des Polizeipräsidenten habe er keine Vermögensbetreuungspflicht gehabt und deshalb das Vermögen des Landes wahren müssen, so Staatsanwalt Heister zur taz. Das Verfahren gegen Kiau wurde eingestellt. Rivalitäten unter den leitenden Beamten sollen Kohler letztendlich den Job gekostet haben. Was im Detail auf dem Revier los war, blieb vor Gericht jedoch weitgehend offen. Die Heidelberger Alternativzeitung Communale schrieb jedoch von einem „Komödienstadel im Polizeipräsidium“.
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