: Bohren und Hämmern gegen Frust im Beruf
■ Der Wunsch nach Initiative und Kreativität machten den Heimwerker–Markt zum Wachstumssektor / Konzentration und Umsatzrückgang beenden die goldenen Jahre
Von Horst Peter Wickel
„Die Axt im Haus erspart den Zimmermann“, wußte schon der Schweizer Nationalheld Wilhelm Tell bei Friedrich Schiller. Deutschlands HeimwerkerInnen geben sich mit derartigem Handwerkszeug längst nicht mehr zufrieden und sorgen seit Jahren für einen florierenden Umsatz auf dem Do–it–yourself–Markt. Inzwischen verfügen die Haushalte der Bundesbürger über ein wohlsortiertes Arsenal von Heimwerkergeräten - im Durchschnitt sind Werkzeuge und Geräte für 7.000 Mark zusammengekommen. Eine Befragung der Forschungsstelle für empirische Sozialökonomik des Adolf–Grimme–Instituts zeigt, daß die bundesdeutschen Freizeitwerker zu 93 Prozent einen Universal–Werkzeugkasten im Haus haben, 90 Prozent können eine elektrische Bohrmaschine einsetzen Jetzt sind die „Innen“ wohl plötzlich der Statistik zum Opfer gefallen, wa? - d. Korr. Immerhin fast die Hälfte der Do–it–yourselfer haben eine Werk– oder Hobelbank oder eine Tischkreissäge in Reichweite, jeder fünfte verfügt gar über einen Zementmischer. Noch vor rund zwanzig Jahren waren derartige Geräte in Laienhand unvorstellbar, und die Bundesdeutschen überließen handwerkliche Arbeiten lieber ausgebildeten Profis. Der gesamte Do– it–yourself–Markt erreichte ein Volumen von wenigen hundert Millionen Mark. Als die Ausläufer der Heimwerker–Welle allerdings über den Atlantik schwapp ten, fanden auch die Bundesbürger schnell Gefallen am Bohren, Hämmern und Sägen. Do–it–yourself ist längst zur Massenbewegung geworden - in mehr als elf Millionen Haushalten werden von rund 24 Millionen Menschen Heimwerkerarbeiten durchgeführt. Rund die Hälfte der Freizeitwerker stuft sich selbst als „aktiv“ ein, die restlichen 11,5 Millionen betrachten sich als gelegentliche Heimwerker. Im Schnitt verbringt die Hobby–Handwerkerin und ihr männliches Gegenstück rund 60 Stunden im Jahr mit Tätigkeiten am Haus, in der Wohnung oder beim Basteln ganz allgemein. So errechnen sich bundesweit 1,5 Milliarden Freizeitstunden, die dem Do–it–yourself gewidmet werden. Neben Ausgaben für Geräte und Werkzeuge geben die Freizeitbastler viel Geld für Holz und Holzelemente, für Bauelemente und Baustoffe aus, kaufen Teppiche, Tapeten und Fliesen, brauchen Klebstoffe und Kleineisenteile. Insgesamt wurden so 1985 mehr als 28 Milliarden Mark für Heimwerkerbedarf ausgegeben. Nach Untersuchungen des Münchner Instituts für Freizeitwirtschaft ist der typische aktive Heimwerker Angestellter oder Arbeiter in mittleren Jahren, der mit seiner drei– oder vierköpfigen Familie im Eigenheim lebt und in dessen Haushalt 3.000 bis 5.000 Mark Monatseinkommen zur Vefügung stehen. Wenig aktiv geheimwerkt wird dagegen in der Jugend und im Alter, in kleineren Haushalten, in unteren Einkommensgruppen und in Mietwoh nungen. Nach den Motiven für ihr Hobby–Werken befragt, nennen knapp 90 Prozent die Möglichkeit, Geld zu sparen. Immer bedeutender wird für die Freizeitbastler „Spaß an der Arbeit“ und „Stolz auf eigene Leistung, Selbstbestätigung“. Noch 1983 hatten diese Motive lediglich für 63 Prozent der Heimwerker große Bedeutung, 1985 schon für 88 Prozent. Die Münchner Freizeitforscher meinen: „Diese Freude an der Heimwerkerarbeit kommt nicht von ungefähr. Sie ist vor allem eine Antwort auf die zunehmende Frustation des Berufslebens. Durch Arbeitsteilung, Ra tionalisierung und Automatisierung überwiegen an vielen Arbeitsplätzen monotone, repetitive und in ihrem Sinnzusammenhang nicht mehr überschaubare Tätigkeiten. Damit können die vorhandenen Potentiale an Initiative und Kreativität im Beruf immer weniger ausgelebt werden und werden in die Freizeit verlagert.“ So hoffen auch die Gerätehersteller, wie Joachim Lungershausen, Vertriebsleiter bei Bosch, auf eine Fortsetzung des Wertewandels in unserer Industriegesellschaft. „Die Ergebnisse unserer Marktstudien zeigen, daß der Wunsch nach individueller Lebensgestaltung und schöpferi scher Tätigkeit zunehmend ein wichtiger Grund für das Heimwerken und somit für die Anschaffung von Elektrowerkzeugen geworden ist.“ Von den ganz fetten Jahren muß die Do–it–yourself–Branche allerdings Abschied nehmen. Schon die Jahre 1984 und 1985 waren nur noch „durchwachsen“. Grund: Die Zahl der Wohnungsneubauten, in denen besonders intensiv gewerkelt wird, ist drastisch zurückgegangen. Selbst Optimisten rechnen nur noch mit jährlichen Wachstumsraten von 2,5 bis 3 Prozent, während die Branche jahrelang von hohen zweistelligen Zuwächsen verwöhnt wurde. Einen Anteil von rund 25 Prozent am Vertrieb halten die Bau– und Heimwerkermärkte, doch den Löwenanteil setzen die verschiedenen Fachhändler um - vom Baustoff– und Holzhandel über den Eisenwarenhandel bis hin zum Tapeten– und Farbfachgeschäft. Die Zahl der Bau– und Heimwerkermärkte (mehr als 1.000 mit zwei Millionen Quadratmetern Verkaufsfläche) übersteigt schon jetzt den Bedarf bei weitem, so daß Branchenkenner mit einer Konzentrationswelle - ähnlich wie im Lebensmitteleinzelhandel - rechnen. Besonders kleine Ketten mit drei bis fünf Märkten sind anfällig. Im August 1986 prophezeite die Süddeutsche Zeitung: „Mit der Angliederung des Branchenführers OBI an Tengelmann und der Übernahme der Wickes–Märkte durch die mit ihren Praktiker–Filialen bereits außerordentlich expansive ASKO–Gruppe ist wohl in der Tat eine Lawine losgetreten worden, der noch so manche Übernahme folgen wird.“ An der Schaffensfreude der Hobby–Werker wird sich voraussichtlich dadurch wenig ändern. Nach Schätzungen des Zentralverbands des Deutschen Handwerks entsprechen die Heimwerkerleistungen einem Umsatz von mehr als 40 Milliarden Mark - ein Betrag, auf den weder Einkommens– noch Mehrwertsteuer zu entrichten sind. Es grenzt schon an ein Wunder, daß der Stoltenberg– Mannschaft im Finanzministerium diese Einnahmequelle bislang verborgen geblieben ist.
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